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Kofi Annan: Er wird als moralisches Gewissen fehlen

Er hat immer an eine bessere Welt geglaubt, für eine bessere Welt gekämpft: Am Samstag verstarb der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan. Eine persönliche Erinnerung von Heidemarie Wieczorek-Zeul.
von Heidemarie Wieczorek-Zeul · 20. August 2018
Heidemarie Wieczorek-Zeul und Kofi Annan
Heidemarie Wieczorek-Zeul und Kofi Annan

Wann habe ich Kofi Annan das erste Mal getroffen? Das muss im Jahr 2000 gewesen sein, als ich als deutsche Entwicklungsministerin ihn und seine Frau Nane bei ihrem Besuch auf der Expo 2000 in Hannover begleiten durfte. Das war der Beginn einer jahrelangen wunderbaren Zusammenarbeit, ja Freundschaft, die weit über seine Amtszeit 2007 und meine Ministerzeit 2009 hinausreichte.

Milleniums-Ziele waren epochale Leistung

Eine epochale Leistung seiner Zeit als UN Generalsekretär waren die Vorbereitung und Durchsetzung der Beschlüsse der UN-Generalversammlung im September 2000 – die Milleniums-Entwicklungsziele. Die Aufgaben: Die extreme Armut bis 2015 weltweit drastisch reduzieren, Bildung für alle Kinder – vor allem für Mädchen – voranbringen, Mütter- und Kindersterblichkeit deutlich reduzieren, eine neue weltweite Partnerschaft begründen und vor allem: HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose bekämpfen.

Die UN-Millenniums-Generalversammlung brachte fast alle Staats- und Regierungschefs nach New York, auch Bundeskanzler Gerhard Schröder, den ich dabei als zuständige Ministerin begleiten durfte. Er war nach Lektüre der Texte während des Fluges nach New York absolut begeistert: Das ist ja ein durch und durch sozialdemokratisches Programm!, war seine Reaktion. Das Ergebnis unserer Regierung war danach ein eigenes Aktionsprogramm zur Verwirklichung dieser Ziele.

In Deutschland sind die Milleniums-Ziele manchmal geringgeschätzt worden, aber sie haben in den Entwicklungsländern den Menschen stets als Maßstab für die Bewertung des Verhaltens ihrer eigenen Regierung gedient. Und vor allem für die Bekämpfung der Armut haben sie massive Fortschritte gebracht.

Engagement gegen Aids

Im Jahr 2000 begann auch Kofis Engagement gegen die Pandemie HIV/Aids. Denn seine Einschätzung, die ich teilte, war, dass ohne ein geschlossenes multilaterales Wirken und eine entsprechende Institution die Gefahr bestand, dass sich ganze afrikanische Länder in der Erwachsenenbevölkerung selbst auslöschen würden.

Er schlug einen Fonds vor, der gespeist werden sollte durch Beiträge der Regierungen, durch Stiftungen und Unternehmen und der in seinen Entscheidungsorganen Betroffene, Zivilgesellschaft und natürlich Entwicklungsländer umfassen sollte. Wir haben als Bundesregierung unter Rot-Grün diesen Fonds aktiv unterstützt, finanziert und seine Arbeit mitgestaltet.

Kofi Annans Fonds rettete Millionen

Seit 2002, seit dieser Fonds besteht, hat er fast 20 Millionen Menschenleben gerettet! Ohne Kofis Initiative hätten diese Menschen keine Chance gehabt, wären heute afrikanische Länder massiv destabilisiert. In seinem Sinne müssen wir versprechen: Wir werden heute und in der Zukunft alles tun, damit es keine Rückfälle im Engagement gegen HIV/Aids gibt, damit die Finanzierung verstärkt wird und damit Gleichgültigkeit keine Chance erhält.

Gegen Bushs Irak-Krieg

Kofi Annan hat die Ehre der Vereinten Nationen verteidigt, als er sich beharrlich gegen George W. Bushs unseligen Krieg gegen den Irak stellte. Ihm war dabei gleichgültig, dass die US-Regierung ihn als zentrales Hindernis betrachtete und dann auch Rache an ihm nahm. Ohne ihn, ohne das Engagement unserer Bundesregierung unter Gerhard Schröder, ohne das Engagement von Jacques Chirac, hätten die Entwicklungsländer, die im UN Sicherheitsrat massivem Druck und Falschinformation von Seiten der US-Regierung ausgesetzt waren, niemals einer Zustimmung zum Krieg widerstehen können. Es ehrt sie noch heute, dass sie mit seiner Unterstützung widerstanden haben.

Seine Initiative zur „Schutzverantwortung“

Unterstützung konnte ich wiederum (auch) Kofi Annans Initiative zur „Schutzverantwortung“, der Responsibility to Protect, geben. Sie besagt, dass es die Pflicht der internationalen Gemeinschaft ist, einzugreifen, wenn die eigene Regierung die Menschen ihres Landes nicht vor massiven Menschenrechtsverletzungen schützt. Das war Kofis Lehre aus dem Versagen der Weltgemeinschaft, den Völkermord in Ruanda nicht verhindert zu haben!

Ich habe Kofis Engagement auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des UN-Generalsekretärs unterstützt, zum Beispiel in seiner Kofi Annan Foundation. Dabei ging es um seine Electoral Integrity Initiative, deren Aufgabe es war und ist, demokratische Wahlprozesse in den Ländern vorzubereiten, Konflikte während der Wahlprozesse und nach den Wahlergebnissen verhindern zu helfen. Legendär war dabei Kofi Annans Einsatz in Kenia, mit dem er das wechselseitige Abschlachten der Anhängergruppen der verschiedenen Parteien nach den Wahlen verhindert hat. Ohne seine Autorität wäre das nicht gelungen!

Vermittlung im Syrien-Konflikt scheiterte an USA

Dass seine Aufgabe der frühen Vermittlung im Syrienkonflikt scheitern musste angesichts des Widerstandes der USA, hat ihn sehr verbittert. Und es ist doch mehr als Zynismus, dass seine Vorschläge von der internationalen Gemeinschaft dann vielleicht erst nach Millionen von Toten und Flüchtlingen doch noch beschlossen wurden. Als er die Vorschläge vor Jahren entwickelt hatte, hätten sie die Millionen von Toten und Flüchtlingen verhindern können.

Sein Vermächtnis umsetzen

Weitsichtig schreibt Kofi Annan in seinem Annual Report „Road to Peace“ 2017, der uns gerade in den letzten Tagen zugesandt wurde: „The good news is that most of the global crises that we face today can be resolved. We possess all the information ... to overcome them. Unfortunately we often lack the leadership and political will to implement what experience and research have tought us. Short-termism dictated by the next election cycle, the current business quarter or more convenience – get in the way ... . There is much to do and in the words of the poet Robert Frost ‚miles to go before I sleep’.“

Das ist ein Vermächtnis an uns alle: Die notwendigen Meilen zu gehen, damit die Ziele, für die sich Kofi sein ganzes Leben eingesetzt hat, eine Chance haben. Mit ihm ist ein Weichensteller zum Guten von uns gegangen. Er wird uns fehlen mit seinen Überzeugungen, mit seiner Entschlossenheit, mit seinem Humor, mit seiner wunderbaren Stimme. Er wird dieser Welt als moralisches Gewissen fehlen. Wir müssen seine Überzeugungen weiter umsetzen, das ist sein Auftrag an uns.

Autor*in
Heidemarie Wieczorek-Zeul

war von 1974 bis 1977 die erste weibliche Bundesvorsitzende der Jusos und von 1998 bis 2009 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie ist Mitglied im Vorstand des Willy-Brandt-Kreises.

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