Klartext im Bundestag zum Völkermord an den Armeniern
Für die SPD erinnerte der außenpolitische Experte Dietmar Nietan an die Worte Elie Wiesels, „wer sich dazu herbeilässt, die Erinnerung an die Opfer zu verdunkeln, der tötet sie ein zweites Mal“, die dieser im Jahr 2000 zum Bundestag gesprochen hatte. „Dass vom Völkermord gesprochen wird, geschieht nicht, um Hass zu schüren oder ein befreundetes Land wie die Türkei belehren oder gar beleidigen zu wollen“, betonte Nietan. „Vielmehr wollen wir heute deutlich machen ‑ ganz im Sinne von Elie Wiesels Mahnung ‑, dass wir uns eben nicht dazu herbeilassen wollen, die Erinnerung an die Opfer zu verdunkeln.“
Nietan betonte auch die besondere Verantwortung der Deutschen, angesichts des Verhaltens der deutschen Reichsregierung im Jahr 1915. Er appellierte: „Wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sollten uns deshalb in aller Form gegenüber dem armenischen Volk für die damalige moralische Gleichgültigkeit des Deutschen Reiches entschuldigen.“
Türkei soll sich zum Völkermord bekennen
Die deutsche Politik dürfe nur ein Ziel haben: Versöhnung nicht Rechthaberei. „Wir alle, aber auch die jetzige türkische Regierung wissen, dass die Armenier nicht zufällig irgendwelchen Kriegswirren, sondern einem eiskalt geplanten Verbrechen des damaligen türkischen Staates zum Opfer gefallen sind.“ Dietmar Nietan forderte: „Dazu muss sich die Türkei bekennen.“
Gernot Erler (SPD), der Regierungsbeauftragte für die Zusammenarbeit mit Russland und Zentralasien, rief die Türkei und Armenien zur Fortsetzung ihres Versöhnungsprozesses aufgerufen. „Ohne einen solchen tatsächlich von beiden Seiten ehrlich geführten Versöhnungsprozess wird das Leiden an der Vergangenheit, die Fesselung in den historischen Traumata in beiden Ländern nicht aufhören können“, sagte Erler. „In Deutschland stehen wir in der Pflicht, unsere Beziehungen zu beiden Ländern zu nutzen, um bei der Suche nach solchen Auswegen zu helfen.“
Zu Beginn der Sitzung machte Bundestagspräsident Norbert Lammert klar: „Das, was mitten im Osmanischen Reich stattgefunden hat, war ein Völkermord. Er ist nicht der letzte im 20. Jahrhundert geblieben.“ Lammert betonte die besondere Verantwortung Deutschlands für diesen Völkermord. „Umso größer ist die Verpflichtung, im Respekt vor den Opfern und in der Verantwortung für Ursache und Wirkung die damaligen Verbrechen weder zu verdrängen noch zu beschönigen. Wir Deutsche haben niemanden über den Umgang mit seiner Vergangenheit zu belehren. Aber wir können durch unsere eigenen Erfahrungen andere ermutigen, sich ihrer Geschichte zu stellen – auch wenn es schmerzt.“
Gauck spricht offen über Völkermord
Bereits am Donnerstag hatte Bundespräsident Joachim Gauck die Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren klar als Völkermord bezeichnet. Im Berliner Dom sagte er: „In diesem Fall müssen auch wir Deutsche insgesamt uns noch der Aufarbeitung stellen, wenn es nämlich um eine Mitverantwortung, unter Umständen sogar Mitschuld, am Völkermord an den Armeniern geht.“ Dabei verwendet er auch die Formulierung, die Eingang im gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen fand: „Das Schicksal der Armenier steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von der das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist.“ Weiter sprach Gauck von einer „genozidalen Dynamik, der das armenische Volk zum Opfer fiel“, und von „geplanten und systematischen Mordaktionen“.
In Armeniens Hauptstadt Jerewan wird am heutigen Freitag mit einer großen Gedenkfeier an den Völkermord erinnert. Aus dem Ausland werden unter anderem Russlands Präsident Wladimir Putin und Frankreichs Staatspräsident François Hollande erwartet. Deutschland wird weder durch den Bundespräsidenten noch die Kanzlerin vertreten sein, auch nicht durch ein Kabinettsmitglied, sondern durch den Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth.
Wie sehr der nicht aufgearbeitete Völkermord die Beziehungen zwischen Türken und Armeniern noch immer belastet, zeigt eine eine Dokumentation des WDR mit dem Titel „Mordfall Hrant Dink – Armenier in der Türkei“, die ebenfalls am heutigen Montag um 23.15 Uhr gesendet wird. Der Journalist Hrant Dink, der den Völkermord stets offen ansprach, wurde im Jahre 2007 erschossen. Zuvor wurde er immer wieder wegen angeblicher „Beleidigung des Türkentums“ angeklagt und zum Opfer türkisch-nationalistischer Hetze und Propaganda.