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Keiner schuld an der Krise?

von Die Redaktion · 29. September 2011
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Die Verwendung des Wortes "Finanzkrise" als ein Geschehen von kurzer Dauer, das sich der Beeinflussbarkeit entzieht, sei falsch. Das stellt Wolfgang Hetzer gleich am Anfang klar. Sodann arbeitet er das Geschehen auf, was nicht wenige Fragen aufwirft, etwa nach dem Zusammenhang mit der Globalisierung und Deregulierung.

Diese Fragen zu beantworten, setzt die Klärung grundlegender Begriffe voraus. So erhält der Leser im Glossar schlüssige Erklärungen zu vorwiegend englischsprachigen Bezeichnungen wie Swaps, Special Investment Vehicles, Short Sellings und Asset-Backed Securities. Wer nicht einschlägig vorgebildet ist, dem wird schon die Bereitschaft abverlangt, sich mit diesem Vokabular auseinanderzusetzen. Aber es lohnt sich, wie sich im Verlauf des Buches zeigt.

Faszinierende Einblicke oder Wie das Strafrecht an Grenzen stößt

Bis zum fünften Kapitel erfährt der in dem reichlich mit Quellen abgesicherten Werk viele Zusammenhänge und hochinteressante Einzelheiten: auch zur Bedeutung der Rating-Agenturen und der Rolle der Politik. Dabei werden naturgemäß auch Namen genannt - aber stets bleibt Hetzer sachlich-unpolemisch und von glasklarem juristischem Sachverstand.

In den Kapiteln sechs bis acht setzt sich der Autor ausführlich mit der Strafbarkeit auseinander. Er lotet die Möglichkeiten des deutschen Strafrechts aus. Zwangsläufig stößt er auch an dessen Grenzen. Ist es doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt fast nur der Tatbestand der Untreue, der sich auf das Verhalten der Verantwortlichen anwenden lässt.

Einen Schwerpunkt im achten Kapitel bilden die gründlich recherchierten Ausführungen zu den Vorgängen um die Bayern LB und die Hypo Group Alpe Adria. Dieser Teil liest sich sehr spannend, wäre die Materie nicht zu ernst…

Neue Ethik oder Was wünschenswert ist

Zum Schluss geht der Autor auf das Thema Korruption ein. Zu ihrer Bekämpfung bedürfe zunächst einmal eines einheitlichen Begriffs. Aber "im europäischen Rechtsraum finden wir bis heute keine einheitliche und durchgehend akzeptierte Definition korrupten Verhaltens. … Das Problem ist unter anderem, dass sich traditionelle, von Sprache zu Sprache unterschiedliche Bezeichnungen … nicht immer zusammenbringen lassen." Hetzer beschreibt Korruption als "einen Angriff auf die sachgerechte Aufgabenerfüllung durch eine regelwidrige Austauschbeziehung zwischen Geber und Nehmer."

Er bedauert, dass es "keine breite öffentliche Debatte über die ethischen Aspekte der Euro-, der Finanz- und der Wirtschaftskrise" gibt. Hetzer verweist auf "eine neue Art ethischer Fragestellung", bei der es "nicht primär darum" geht, "zu fragen, was wir tun sollen oder nicht tun dürfen, sondern was wir sinnvollerweise tun wollen." Also nicht der erhobene Zeigefinger führt weiter, sondern die Frage nach dem weltweit Wünschenswerten.

Glasklare Ernüchterung oder Warum die Krise nicht vorbei ist

Wen die Zusammenhänge schon immer interessiert haben, dem wird dieses Buch eine wahre Fundgrube sein. Wolfgang Hetzer packt das heiße Eisen auf unaufgeregte Art an. An keiner Stelle flüchtet er in haltlose Bezichtigungen. Hinter dem auf den ersten Blick polemischen Titel verbergen sich wissenschaftlich fundierte Ausführungen voll nüchternem Sachverstand. Dem Leser öffnet sich ein Blick hinter die Kulissen der Bankgeschäfte wie der Ermittlungen und juristischen Aufarbeitungen.

Mit der zunehmender Klarheit wächst die Ernüchterung: über das, was geschehen ist und aller Wahrscheinlichkeit nach weiter geschieht. Es ist der Bürger und Steuerzahler, der letztlich die Profitgier einiger Weniger befriedigen muss. Was bleibt, ist die beklemmende Gewissheit, dass die "Krise" nicht vorbei ist.

Wolfgang Hetzer: "Finanzmafia. Wieso Banker und Banditen ohne Strafe davonkommen", Westend Verlag, Frankfurt/Main 2011, Umfang 336 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-938060-70-4

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Die Redaktion

des vorwärts.

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