International

Keine Angst vor Islamisten

von Hannah Wettig · 9. Juni 2011
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Ende Mai den ganzen Tag auf dem Tahrir-Platz zu demonstrieren, hält kein Mensch aus. Die Gruppe links-gerichteter Aktivisten, der ich mich angeschlossen hatte, ging ins Cilantro, um sich abzukühlen bei einem Glas Mint-Limonade - die gibt es nicht überall auf der Welt und ist zu empfehlen.

Das waren vier junge Frauen und ein schwuler Mann, die meisten der Frauen trugen Haare und Ärmel kurz, der Mann hatte ein Piercing im Ohr. Neben unserem Tisch saßen vier junge Männer mit Bärten und diskutierten über Politik. Kaum hatten wir bestellt, rief eine der Aktivistinnen zu den Bärtigen hinüber: "Was habt Ihr über die Demo auf dem Tahrir geschrieben? Dass wir nichtsnutzige Schläger sind?"

Freundlich erläuterte einer der Bärtigen die Position der verschiedenen salafistischen Prediger zu den Demos auf dem Tahrir-Platz. Eine andere linke Aktivistin mischte sich ein: "Ihr habt eine tolle Website. Da gucken viele drauf. Bevor Ihr was schreibt, solltet ihr das überprüfen." Ein zweiter aus der Gruppe der Bärtigen sagt, er habe das geschrieben.

Er trägt keinen Bart, schaut aber weniger freundlich als der erste. "Ich fand die Demo sinnlos", sagt er. "Sehen wir aus wie Schläger?" keift ihn die erste Aktivistin an. Die anderen mischen sich ein, schließlich auch ein älterer Herr, der am Tisch daneben sitzt. Der freundliche Bärtige steht auf, um zu telefonieren. Als er das Smartphone nur mehr zum Tippen nutzt, frage ich ihn, ob er Englisch spricht und mir ein paar Fragen beantworten kann. "Glaubst Du, dass die Demokratie schon erreicht ist?", frage ich ihn.

"Nein, ganz und gar nicht. Der Geheimdienst kontrolliert alles", sagt er. "Die haben uns früher eingesperrt, uns Islamisten. Jetzt haben sie immer noch die ganze Macht. Hast Du das von den Christen gehört? In Imbaba?" Ja, habe ich. "Das waren nicht wir. Du denkst jetzt vielleicht, dass ich das sage, weil ich Salafi bin. Aber das kann dir jeder sagen. Das waren die Leute von Suleiman. Die haben sich Bärte angeklebt. Sie versuchen Zwist zwischen uns und den Christen zu säen, eigentlich zwischen allen Ägyptern."

Ich frage, was er unter Demokratie versteht. Freiheit, sagt er. Und was hat er gegen die Demos gegen die Militärtribunale? "Gar nichts. Ich gehe jetzt zum Tahir und demonstriere mit." Ihab heißt er, ist 32 Jahre alt und besitzt einen kleinen Laden. Als er weg ist, frage ich eine der Frauen, wie es ist, mit Salafisten zu diskutieren. "Großartig", sagt sie. "Die haben mit uns die ganze Zeit demonstriert. Wir haben keine Angst vor Salafisten. Wir haben Angst vor Mubaraks Leuten."

Autor*in
Hannah Wettig

ist freie Journalistin.

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