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Kampf gegen Corona: Warum Singapur nun auf einen Chip statt auf eine App setzt

Singapur war eines der ersten Länder mit einer Corona-App. Die Erfahrungen mit ihr sind jedoch durchwachsen. Nun steht eine weitere Weltpremiere bevor: ein „Corona-Token“ für die gesamte Bevölkerung.
von Mirco Günther · 15. Juni 2020
Trotz „Goldstandard“ zu selten heruntergeladen: Nach der Corona-App „Trace Together“ wird in Singapur nun ein Corona-Token eingeführt, um Infektionsketten nachzuvollziehen.
Trotz „Goldstandard“ zu selten heruntergeladen: Nach der Corona-App „Trace Together“ wird in Singapur nun ein Corona-Token eingeführt, um Infektionsketten nachzuvollziehen.

Deutschland bekommt die Corona-Warn-App. In mehr als 30 Ländern weltweit wurde ähnliches bereits eingeführt. Von COVIDSafe in Australien, über Aarogya Setu in Indien und HaMagen in Israel bis hin zu Stopp Corona in Österreich. Die Bilanz der Apps bleibt bisher aber oft hinter den hochgesteckten Erwartungen zurück. Warum das so ist, kann man aktuell in Singapur beobachten, wo eine ganz neue Idee Schule machen könnte.

Corona in Singapur: eine Achterbahnfahrt

Singapurs COVID-19-Geschichte gleicht einer Achterbahnfahrt. Zunächst international viel gelobt als „Goldstandard“ für die Rekonstruktion von Infektionsketten, kam mit der zweiten Coronawelle in Südostasien und dem sprungartigen Anstieg von Fällen vor allem in den Unterkünften von Arbeitsmigrant*innen ein schwerer Rückschlag. Heute zählt der Stadtstaat auf einer Fläche kleiner als das Bundesland Berlin über 40.000 bestätigte Fälle, gilt mit bislang nur 26 Toten und einem erstklassigen Gesundheitssystem aber dennoch als eines der sichersten Länder in der Coronakrise.

Als eine der ersten Corona-Apps weltweit setzte TraceTogether in Singapur mit seiner Einführung im März neue Maßstäbe: freiwilliger Download, keine Speicherung von Bewegungs- oder Personendaten, ein öffentlich zugänglicher Quellcode. Dennoch wurden die Singapurer*innen mit der App nicht warm. 1,8 Millionen Personen, etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung, haben sie bisher heruntergeladen. Zu wenig für die flächendeckende Kontaktverfolgung, die nach Einschätzung des zuständigen Ministers eine Beteiligung von 75 Prozent bräuchte. 

Die Gründe sind vielfältig. Der souveräne Umgang mit Smartphones und digitalen Anwendungen ist auch im IT-affinen Singapur insbesondere für ältere Menschen noch nicht alltäglich. Neben einer augenscheinlichen grundlegenden Skepsis, gelang es aber vor allem bisher nicht, zentrale technische Probleme mit der Anwendung auf Apple-Geräten und die Überlastung von Handybatterien in den Griff zu bekommen.

Corona-Token statt Corona-App

Nun also eine weitere Neuheit: ein kleines, tragbares Gerät, ein Chip, welcher in die Hosen- oder Handtasche, an den Gürtel oder ans Armband passen soll. Die Funktionsweise ähnelt der App. Es handelt sich um ein Bluetooth-Signal ohne Bewegungsortung. Die Singapurer Regierung sieht den Token als inklusivere Form des Contact Tracing, vor allem für Bevölkerungsgruppen, die selten oder nie ein Smartphone benutzen. In einem ersten Test sollen 300.000 Geräte ausgeteilt werden. Später könnte die gesamte Bevölkerung folgen.

Ob die Nutzung des Tokens verpflichtend wird, bleibt vorerst offen. Schon bald könnte aber vor allem für Besucher Singapurs bei der Einreise die Frage lauten: TraceTogether App (eine aktualisierte Version ist gerade erschienen) oder TraceTogether Token? Andere Länder mit ähnlich gemischten Erfahrungen bei ihren Corona-Apps werden das Experiment mit Interesse beobachten.

Der Einsatz smarter Technologien ist im Kampf gegen COVID-19 in Singapur auch sonst allgegenwärtig. Ein Roboterhund wird getestet zur Einhaltung der Abstandsregeln, Maschinen desinfizieren Räume und Gegenstände und Tele-Kiosks kommen für elektronische Arztsprechstunden zum Einsatz. Das Scannen von QR Codes und die Übermittlung persönlicher Daten mit der App SafeEntry ist an allen öffentlichen Gebäuden, in Supermärten und Parkanlagen obligatorisch. Mit der OneService-App kann man samt Foto Personen direkt den Behörden melden, die gegen die Abstandsregeln verstoßen. In Deutschland wäre das so sicher weder vorstellbar noch von der Mehrheit gewünscht.

Die deutsche Corona-App ist kein Allheilmittel

Was kann Deutschland daraus lernen? Vielleicht sollte man umgedreht fragen: Was können andere Länder von Deutschland lernen? Die deutsche Corona-Warn-App kommt spät. Gerade weil der demokratische Diskussionsprozess aber so umfassend und kontrovers war, inklusive einer Kehrtwende der Bundesregierung im April von einem zentralen zu einem dezentralen Ansatz bei der Datenspeicherung, erfährt die App nun viel Lob von Expert*innen. Auch Reporter ohne Grenzen hebt sie ausdrücklich als „positives Beispiel“ im internationalen Vergleich hervor.

Wird was lange währt, also gut? Auch Deutschlands Corona-App ist kein Allheilmittel. Abstands- und Hygieneregeln sowie manuelle Kontaktverfolgung bleiben wichtig. Die zentrale Frage wird am Ende sein, wie die App von der Bevölkerung angenommen wird. Zwar ist die weitverbreitete Annahme, Corona-Apps hätten überhaupt nur einen Zweck, wenn die Beteiligung bei mindestens 60 Prozent liege, nicht unbedingt zutreffend. Aber auch wenn Nutzerzahlen unter dieser Grenze nicht gleichbedeutend mit einem Scheitern sind: je weniger Leute die App herunterladen, umso geringer ihre Effektivität.

Datenschutzrechtlich setzt die deutsche Corona-App neue Qualitätsstandards. Ob sie nicht aber zu spät kommt und welche Wirkung sie entfalten kann, bleibt abzuwarten.

Autor*in
Mirco Günther

ist Leiter des Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung für Asien mit Sitz in Singapur. Er war zuvor Büroleiter in Afghanistan und hat Politikwissenschaft u.a. an der Harvard Universität und St. Andrews studiert.

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