Justizreform in Polen: Die Opposition hofft auf die EU
Warschau: Menschenmengen auf den Straßen, Parolen werden gerufen „Europa, gib nicht auf!”, „Verfassung!”. Man könnte meinen, es ist Mitte Juli 2017 und die Polen demonstrieren gegen die Durchsetzung der Änderungen im Verfassungsgericht. Aber dieses Kapitel ist bereits abgeschlossen. Es ist Juli 2018.
Reicht der Protest in Polen aus?
Mitten in der Sommerpause, bei schönem Wetter und während der Urlaubszeit werden Beschlüsse durchgesetzt, die für die Demonstranten die endgültige Beerdigung der polnischen Justiz darstellen. Und während es die Bürgerinnen und Bürger vor einem Jahr geschafft haben, den Staatspräsidenten Duda stark genug unter Druck zu setzen, damit er das umstrittene PiS-Gesetz zum Verfassungsgericht mit einem Veto belegt - letztendlich unterschrieb er das Gesetz dennoch, nachdem kosmetische Änderungen vorgenommen wurden - , wird der gesellschaftliche Druck dieses Mal möglicherweise nicht ausreichen.
Die jetzige Auseinandersetzung um das Oberste Gericht in Polen begann im Dezember 2017, als die zwei Parlamentskammern Sejm und Senat das Gesetz über die Änderungen im Obersten Gericht angenommen hatten. Im April trat es dann in Kraft. Der Hauptstreitpunkt am Gesetz ist die Senkung des Ruhestandsalters der Richter des Obersten Gerichtes von 70 auf 65 Jahre. Diejenigen Richter, die drei Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes am 3. Juli über 65 sind, sollen in den Ruhestand versetzt werden, es sei denn, der Präsident entscheidet anders. Diese Änderung soll auch die Gerichtspräsidentin Małgorzata Gersdorf betreffen.
Regierung: gegen kommunistisches System
Offizielles Ziel der gesamten von der PiS eingeleiteten Justizreform ist eine Verbesserung des Zustands der Judikative in Polen und in diesem Rahmen personelle Änderungen in den Gerichten. Selbst Ministerpräsident Morawiecki meinte, dass die Judikative in Polen aus dem vorherigen kommunistischen System stammt und das solle geändert werden. Die Absenkung des Rentenalters der Richter des Obersten Gerichtes war die einzige Methode, um auch die Gerichtspräsidentin entlassen zu können. Insgesamt sollen 27 Richter von 73 in Ruhestand versetzt werden. Das wäre u.U. nicht so problematisch, wenn nicht nach Art. 183 der polnischen Verfassung der Präsident des Obersten Gerichtes „vom Präsidenten der Republik Polen für eine sechsjährige Kadenz berufen” wird, was im Widerspruch zu dem Gesetz steht. Auf diese Art und Weise versucht die regierende Partei PiS neue Regelungen zu schaffen, ohne die Verfassung ändern zu müssen, die PiS hat hierzu nicht die nötige 2/3 Mehrheit.
Es ist eigentlich nicht die Idee einer grundlegenden Reform der Justiz, die in Polen so kontrovers diskutiert wird, sondern vielmehr ihre Durchsetzung ohne Rücksicht auf die geltende Verfassung, eine zu weitgehende Abhängigkeit der Judikative von Politikern sowie die Art und Weise, wie an Änderungsgesetzen gearbeitet wird – in Eile, ohne Teilnahme von NGOs, externen Experten etc. Zu den größten Protesten kam es am 3. Juli, am Tag des Inkrafttretens des neuen Ruhestandsalters der Richter des Obersten Gerichtes. Am 4. Juli kam die Gerichtspräsidentin Gersdorf zur Arbeit, kurz danach aber ging sie in den Urlaub. Wie lange wird er dauern und was passiert danach? All das ist bislang noch unbekannt.
Was unternimmt Brüssel?
Angesichts der Nichtberücksichtigung der Stellungnahmen von juristischen Autoritäten, aktiven und nicht mehr aktiven Politikern, des polnischen Ombudsmannes, NGOs etc. setzen die Kritiker ihre letzte Hoffnung in die Europäische Kommission. Von den PiS-Vertretern wird sie einerseits als das größte Übel gesehen, andereseits als eine schwache Institution, die nicht imstande ist, Konsequenzen gegenüber Polen zu ziehen. Es gibt aber Anzeichen, dass die Europäische Kommission das Problem der Rechtsstaatlichkeit in Polen als ernst betrachtet und dementsprechend auch reagieren will, damit andere Länder nicht einen ähnlichen Weg einschlagen.
Möglicherweise wird die Europäische Kommission Polen vor den Europäischen Gerichtshof stellen. Ebenso möglich, dass das Land in irgendeiner Form finanziell bestraft wird. Wie sehr sich die Stimmungen innerhalb der EU gegenüber Polen geändert haben, sah man während der Debatte nach der Rede des polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki im Europäischen Parlament am 4. Juli. Obwohl Morawiecki über die Zukunft Europas sprach, befand er sich im Kreuzverhör zum Stand der Judikative und der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Der Ministerpräsident hat es nicht geschafft mit seinen Argumenten zu überzeugen.
Dunkle Wolken über Polen
Heute gibt es keine Menschenmengen mehr auf den Straßen. Die Urlaube dauern an, einige Polen haben gar nicht bemerkt, welche Änderungen in ihrem Land vorgenommen werden. Andere leben mit ihren alltäglichen Problemen und das Oberste Gericht sowie das Verfassungsgericht scheinen für sie zu weit entfernt. Aber während dieser schönen Urlaubstage ziehen Wolken über Polen auf.
ist Germanistin, promovierte Geisteswissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Polen.