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Journalismus in der Türkei: Was SPD-Politiker vom „Cumhuriyet“-Prozess halten

Die türkische Zeitung „Cumhuriyet“ soll Terroristen unterstützt haben, sagt die Staatsanwaltschaft in Istanbul. SPD-Politiker halten dagegen: Der Prozess gegen das regierungskritische Blatt sei politisch motiviert.
von Paul Starzmann · 25. Juli 2017
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Der Justizpalast im Istanbuler Stadtteil Şişli ist mit seinen 300.000 Quadratmetern das größte Gerichtsgebäude Europas. „Adalet Sarayı“ – Palast der Gerechtigkeit – steht in goldenen Buchstaben auf dem riesigen Bauwerk, in dem seit Montag 17 Mitarbeitern der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“ der Prozess gemacht wird. Ob die Angeklagten hier jedoch wirklich Gerechtigkeit erfahren werden, wird von vielen bezweifelt.

Politischer „Showprozess“ in Istanbul

Die Staatsanwaltschaft wirft den „Cumhuriyet“-Redakteuren Terror-Unterstützung vor: Sie sollen sowohl mit der religiösen Gülen-Bewegung, die Präsident Erdoğan für den Putschversuch im vergangenen Jahr verantwortlich macht, als auch mit der kurdischen PKK-Guerilla unter einer Decke stecken.

Für den SPD-Europaabgeordneten Arne Lietz, der am ersten Prozesstag in Istanbul dabei war, sind diese Vorwürfe nicht nachvollziehbar. Ein reiner „Showprozess“ sei die ganze Verhandlung, sagt er. Für ihn steht fest: „Hier soll die Zivilgesellschaft mundtot gemacht werden“.

EU-Vertreter: „Wir waren nicht wirklich willkommen“

„Wir haben einen sehr chaotischen, skurrilen Auftakt des Prozesses erlebt“, sagte Lietz nach der Gerichtsverhandlung. Eine dreiviertel Stunde lang habe er als Vertreter des EU-Parlaments keinen Zugang zum Gerichtssaal erhalten, musste darauf drängen eingelassen zu werden. „Wir waren nicht wirklich willkommen“, so der SPD-Politiker. Auch einigen Anwälten der Verteidigung sei der Zugang zu dem überfüllten Gerichtssaal verwehrt worden.

Dennoch gingen die Angeklagten gleich am ersten Prozesstag in die Offensive. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft seien haltlos, erklärten sie. „Ich bin nicht hier, weil ich bewusst und absichtlich eine Terror-Organisation unterstützt habe“, sagte der Redakteur Kadri Gürsel. „Sondern weil ich ein unabhängiger, Fragen stellender und kritischer Journalist bin.“

„Cumhuriyet“ und PKK passen nicht zusammen

Tatsächlich ist es mehr als unwahrscheinlich, dass an dem Verdacht der Staatsanwaltschaft etwas dran ist und die „Cumhuriyet“-Redaktion irgendetwas mit PKK oder Gülen zu tun hat. Das Blatt sieht sich in der Tradition des Staatsgründers Kemal Atatürk und setzt daher auf eine strenge Trennung zwischen Staat und Religion – der Theologe Fetullah Gülen hingegen predigt das Gegenteil. Deswegen warnen die „Cumhuriyet“-Macher seit jeher vor der Gülen-Bewegung. Einer der Angeklagten, der Redakteur Ahmet Şık, hat vor ein paar Jahren sogar ein Enthüllungsbuch über die religiöse Bruderschaft geschrieben. Jetzt soll er laut Staatsanwalt auf einmal gemeinsame Sache mit der Gülen-Bewegung machen.

Die allermeisten unabhängigen Beobachter halten eine Verbindung zwischen der „Cumhuriyet“ und Gülen für genauso abwegig wie eine Zusammenarbeit der Redaktion mit der PKK. Schon der Name der Zeitung – „Cumhuriyet“ bedeutet „Republik“ – zeigt, dass den Herausgebern die staatliche Integrität der Türkei über alles geht. Genau diese jedoch greift die PKK immer wieder gezielt an. „Cumhuriyet“ und PKK, die beiden passen einfach nicht zusammen.

Niels Annen: Diktatorische Politik ist schamlos

Angesichts der abwegigen Anklage geht auch Niels Annen, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, von einem politisch motivierten Prozess aus. „Das Vorgehen gegen ‚Cumhuriyet’ zeigt, wie rücksichts- und schamlos die türkische Regierung und die von ihr gesteuerte Justiz mittlerweile gegen jede kritische Stimme vorgehen“, sagte er gegenüber vorwärts.de. Deshalb sei es wichtig, „dass sich Deutschland und Europa klar und unmissverständlich zur diktatorischen Politik Erdoğans äußern – wir uns aber nicht vom Land Türkei und seinen Menschen abwenden.“

Die Bundestagsabgeordnete Dorothee Schlegel, Türkei-Expertin der SPD-Fraktion im Bundestag, sieht das genauso: Die Verhaftungswellen und „haltlosen Anschuldigungen“ hätten das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei durchaus getrübt. Dennoch will sie den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen: „Es muss wieder möglich werden, Gespräche mit unseren Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen zu führen – ohne Angst und Einschüchterungen“, sagte sie. „Gerade internationale Politik braucht eine vernünftige und verlässliche Grundlage.“

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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