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Iran-Krise: Warum Europa im Nahost-Konflikt stärker Position beziehen muss

SPD-Außenpolitikerin Gabriela Heinrich fordert Konsequenzen aus der Eskalation zwischen den USA und dem Iran. Europa müsse in der Außen- und Sicherheitspolitik näher zusammenrücken, um einen „Krieg aus Versehen“ zu verhindern.
von Lars Haferkamp · 7. Januar 2020
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Gabriela Heinrich, wie gefährlich schätzen Sie die gegenwärtige Eskalation im Verhältnis zwischen Washington und Teheran ein?

Die Konsequenzen aus dieser Eskalation sind noch gar nicht absehbar. Die Ereignisse der letzten Tage sind geeignet, das ganze politische Koordinatensystem in der Region zu verändern, das wir in den letzten Jahren kannten.

Und diese Eskalation birgt sehr hohe Risiken: Wir müssen deswegen jetzt mit aller Kraft verhindern, dass am Ende der sogenannte Islamische Staat oder andere destruktiven Kräfte Gewinn aus dieser Situation ziehen. Wir haben dem Irak gemeinsam mit den Koalitionspartnern geholfen, den Kampf gegen den IS zum Erfolg zur führen, militärisch, aber auch mit einem beispiellosen zivilen Stabilisierungsbeitrag.

Die USA und der Iran erklären, sie wollten keinen Krieg, verschärfen die Lage aber immer weiter. Wie ist das zu erklären?

Der Iran hat in den letzten Jahren seine destabilisierende Rolle in der Region immer wieder unter Beweis gestellt und trägt damit ursächlich zur Eskalation bei. Die Hoffnungen in das Atomabkommen mit dem Iran, das nach zähen und langjährigen Verhandlungen zustande gekommen ist, sind mit dem Austritt der USA verpufft.

Der Iran verfolgt seine eigene politische Agenda der Einflussnahme in der Region. Deswegen redet die iranische Führung jetzt von „Racheszenarien“. Daraus lese ich den Willen zur weiteren Eskalation.

Klar ist aber auch, dass die spontanen Entscheidungen des amerikanischen Präsidenten nicht vom Ende her gedacht sind. Zu Recht fordern die US-Demokraten von Präsident Trump die Offenlegung des Plans, der hinter der gezielten Tötung des iranischen Generals Soleimani steht. Die unterschiedlichen Begründungen, die wir aus der US-Administration gehört haben, deuten darauf hin, dass kein Plan vorgelegen war, ja nicht einmal die Konsequenzen der Tötung abgewogen worden sind.

Welche Folgen hat die aktuelle Lage im Nahen Osten für den Einsatz der Bundeswehr im Irak, dessen Parlament inzwischen einen Abzug aller westlichen Soldaten verlangt?

Ja, richtig, das irakische Parlament hat beschlossen, dass alle ausländischen Streitkräfte das Land verlassen sollen. Unklar ist zum jetzigen Zeitpunkt, wie die irakische Regierung diese nicht-bindende Resolution umsetzen will. Und erst wenn wir darüber Gewissheit haben, können wir seriös darüber diskutieren und entscheiden.

Die Bundesregierung muss das alles nun mit der irakischen Regierung klären und dem Bundestag unverzüglich berichten. Klar ist aber auch: Wenn der Irak das deutsche Engagement, also die Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte durch Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, nicht mehr will, dann werden wir diese Entscheidung natürlich akzeptieren.

Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang: Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion auf eine Erklärung der irakischen Regierung bestanden, ob der deutsche Beitrag zur Ausbildung der Soldaten erwünscht ist. Dieser Wunsch der irakischen Seite wurde bei der letzten Verlängerung des Bundeswehrmandates erneuert.

Wächst die Gefahr eines „Krieges aus Versehen“?

So viel ist heute schon klar: Wir Europäer müssen uns im Nahen Osten mehr engagieren und die Stimme der Diplomatie stärken. Einen „Krieg aus Versehen“ müssen wir mit aller Kraft verhindern.

Umso wichtiger ist es, dass Außenminister Heiko Maas intensive Gespräche mit den Partnern Deutschlands in der NATO, in der Europäischen Union, in der Anti-IS-Koalition, und auch mit der irakischen Führung führt und die Gesprächskanäle zum Iran nutzt. Wir brauchen in dieser Situation dringend Besonnenheit, Augenmaß und Gemeinsamkeit. Diese scheinen für die US-amerikanischen Führung aktuell Fremdwörter zu sein.

Manche Nahost-Experten sind der Meinung, die US-Amerikaner hätten sich mit der jüngsten Eskalation durch Präsident Trump selbst geschadet. Sehen Sie das auch so?

Jedenfalls kann ich keinen Nutzen erkennen. Grundsätzlich haben jetzt viele Staaten noch mehr Angst vor terroristischen Angriffen. Wie groß der Schaden sein wird, muss sich erst noch zeigen. Nur eine gemeinsame politische Lösung der internationalen Gemeinschaft wird den Schaden gering halten können – für die Menschen im Iran und der Region, aber auch darüber hinaus. Vielleicht müssen die Europäer auch etwas deutlicher oder lauter werden am Verhandlungstisch.  

US-Präsident Trump bezieht die Europäer in der Iran-Politik kaum mehr ein, er informiert sie nicht einmal mehr über seine nächsten Schritte, auch wenn sie schwerwiegende Konsequenzen für Europa haben können. Welche Lehren muss die deutsche Politik daraus ziehen?

Das transatlantische Verhältnis ist seit dem Amtsantritt Trumps schwieriger geworden und intransparenter. Das führt uns in die Situation, dass wir uns auch grundsätzliche Fragen zum transatlantischen Verhältnis stellen müssen. Es wird immer deutlicher, dass Europa in punkto Außen- und Sicherheitspolitik näher zusammenrücken muss. Im Hinblick auf den Nahen Osten mehr mit einer europäischen Stimme zu sprechen, ist jetzt dringend nötig. Gerade an der gezielten Tötung des iranischen Generals sieht man, dass nationale Alleingänge meist in die Sackgasse führen.

Autor*in
Lars Haferkamp
Lars Haferkamp

ist Chef vom Dienst und Textchef des vorwärts.

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