placeholder

War das ein Putsch oder nicht? Diese Frage beschäftigt derzeit fast alle der zwei Millionen Einwohner der madagassischen Hauptstadt Antananarivo. Am Montag hat ihr bisheriger Bürgermeister, Andry Rajoelina, den Platz im Präsidentenpalast des Inselstaates eingenommen und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung verkündet. Innerhalb der nächsten zwei Jahre sollen zudem Neuwahlen stattfinden. "Ich werde keinen Aufwand scheuen," so der anscheinend neue Staatschef, der sich auf eine von ihm eingesetzte Übergangsverwaltung beruft.

Vetternwirtschaft und Amtsmissbrauch

Mehr als hundert Panzer des Militärs hatten ihm den Weg ins Zentrum der Macht geebnet. Der bisherige Präsident Marc Ravalomanana war auf seinen Sitz außerhalb der Hauptstadt geflohen und hatte sich verschanzt. Am Dienstag schließlich kündigte Ravalomanana seinen Rücktritt an und unterzeichnete ein Dokument, das die Amtsgeschäfte an ein Gremium der Armee übergab. "Es war eine sehr schwere Entscheidung," so der aus dem Amt gedrängte Präsident, "aber sie musste getroffen werden. Wir brauchen Frieden und Ruhe, um unser Land zu entwickeln."

Ravalomana und Oppositionsführer Rajoelina hatten sich seit Januar einen erbitterten Machtkampf geliefert. Die Opposition warf dem Präsidenten vor, den Inselstaat wie seinen Privatbesitz zu behandeln und einen Ausverkauf des Landes zu betreiben. Seiner Regierung warf sie Vetternwirtschaft, Amtsmissbrauch und die zunehmende Verelendung der Bevölkerung vor.

Im Februar hatte sich der junge und äußerst charismatische Rajoelina erstmals selber zum neuen Präsidenten erklärt, woraufhin es zu Demonstrationen und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen seinen Anhängern und denen des Präsidenten gekommen war. Die Armee musste eingreifen. Mehr als dreißig Menschen kamen ums Leben, Geschäfte wurden geplündert, die staatliche Radiostation in Brand gesteckt.

Als dann auch noch ein Vertrag mit dem südkoreanischen Daewoo-Konzern bekannt wurde, waren die Gemüter beider Lager nicht mehr zu beruhigen. Präsident Ravalomanana hatte die Bereitstellung von über einer Million Morgen landwirtschaftlich nutzbaren Bodens im Osten der Insel zugesagt, eine Fläche halb so groß wie Belgien. Das Unternehmen versprach Investitionen und den Ausbau der Infrastruktur, doch die Madagassen fürchteten ihrer letzten Lebensgrundlage beraubt zu werden.

Da Ravalomanana Geschäftsmann mit zahlreichen Supermarktketten auf der Insel ist, klang der Ruf der Opposition nach einer Verquickung von privaten und staatlichen Interessen überzeugend. In den vergangenen Jahren waren die Preise für Benzin und Nahrungsmittel stark gestiegen, noch immer leben mehr als 70 Prozent der 20 Millionen Einwohner in Armut. Zudem hat Land eine wichtige Bedeutung auf der Insel.

Militär entscheidet

Daewoo hat sich schließlich aus dem Geschäft zurückgezogen. Doch der Streit zwischen den beiden Spitzenpolitiker ging weiter. Die Armee stellte ihnen letzten Freitag dann ein Ultimatum. Entweder sie würden ihre persönlichen Streitereien innerhalb von 72 Stunden beilegen oder das Militär würde intervenieren. Als Rajoelina schließlich nicht auf ein Angebot des Präsidenten einging, das ein Referendum über seine Amtsführung anbot, stürmte das Militär am Montag den Regierungssitz.

Dabei war bis zuletzt vollkommen unklar, auf welche Seite sich das Militär schlagen würde. Denn der Armeechef, der das Ultimatum gesetzt hatte, war zwischenzeitlich selber gestürzt worden und Oberst André Andriarijaona hatte die Führung übernommen. Der Oberst erklärte schließlich, keine Befehle des Präsidenten mehr anzunehmen und stellte sich auf Rajoelinas Seite. Am Montag stürmten sie den Präsidentenpalast.

Die Bevölkerung der Hauptstadt reagierte jedoch mit Erleichterung. Nach wochenlangen Turbulenzen und zunehmender Unsicherheit erhoffen sich die Menschen nun Sicherheit. Vereinzelt wurde auf den Straßen Antananarivos sogar gefeiert, weil der Machtwechsel gerade noch unblutig vonstatten ging.

Ob es sich nun um einen Putsch oder einen Rücktritt an der Spitze des Staates gehandelt hat, darüber gehen die Meinungen auseinander. Sollte die Afrikanische Union zu dem Schluss kommen, das Militär hätte den Präsidenten gestürzt, müsste sie Madagaskar aus ihren Reihen entfernen, eine Intervention stünde auf der Tagesordnung. Doch der AU-Ratspräsident, Edouard Aho-Glele, beruhigte erst einmal und rief zu einem Dialog auf. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon, drängte auf einen friedlichen Übergang.

Von dem Verhalten des Militärs hängt nun ab, wie es weitergeht. Laut Verfassung dürfte Andry Rajoelina nicht das Präsidentenamt übernehmen, da er mit 34 Jahren noch zu jung für das höchste Amt im Staat ist. Ob ihm eine Verfassungsänderung gelingt, ist ebenfalls unklar, denn in der Nationalversammlung verfügt die alte Regierungspartei über die Mehrheit. Und Neuwahlen würden wahrscheinlich Marc Ravalomanana zurück in den Präsidentenpalast bringen. Dann wäre der alte auch wieder der neue Präsident.

Jérôme Cholet arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten. Themen sind Wahlen, Armut und Entwicklung.




Autor*in
Jérôme Cholet

arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare