Gewalt gegen Frauen: Giffey will deutsches Hilfetelefon für ganze EU
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Deutlich mehr Frauen oder besorgte Menschen aus deren Umfeld haben sich im vergangenen Jahr an das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ gewendet, meldet Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Das Hilfetelefon berät Frauen, die physische, sexualisierte oder psychische Gewalt erleben. Die deutsche Ratspräsidentschaft habe sie genutzt, um das Thema Gewalt gegen Frauen auch in der EU präsenter zu machen, so Giffey.
Als nächsten Schritt möchte sie die Nummer des Hilfetelefons in ganz Europa etablieren. Hierzu hätten sich bereits 22 Mitgliedsstaaten im vergangenen Jahr auf der EU-Gleichstellungsministerinnenkonferenz bekannt, von 14 Staaten sei inzwischen auch eine verbindliche Erklärung zur Einführung des Hilfetelefons eingegangen. Giffey zeigte sich optimistisch, dass sich auch die restlichen Mitgliedsstaaten in kommender Zeit anschließen werden, damit bald europaweit das Prinzip „Help is just one phone call away“ gilt.
Während Pandemie mehr gemeldete Fälle
Gerade die momentane Zeit verdeutlicht, dass dies dringend nachgefragt wird: Laut der Leiterin des Hilfetelefons, Petra Söchting, sei die Zahl der Anrufe vor allem seit April 2020 gestiegen. In rund 24.000 dieser Beratungen sei es um häusliche Gewalt gegangen. Dies entspreche einem Anstieg von 20 Prozent. „Für viele Frauen ist dieses Hilfetelefon zum Rettungsanker geworden“, sagte Giffey bei der Vorstellung des Berichts in Berlin. Die Corona-Pandemie sei eine Ausnahmesituation, und wo ohnehin schon eine belastete familiäre Situation vorliege, komme es eher zu Aggressionen oder Gewalt.
Die gestiegene Anzahl an Anrufen und Online-Kontakten lässt jedoch keine direkten Rückschlüsse auf tatsächlich gestiegene Fallzahlen zu. Während der Pandemie habe das Hilfetelefon auch eine erhöhte Medienpräsenz erzielt, wie das Ministerium mitteilte. Rund 9000 der Telefonkontakte gehen auf sogenannte Unterstützer für Frauen in Not zurück, zu denen auch Nachbarn gehören. So berichtete Giffey von Fällen, in denen Nachbarn Gewalt gemeldet hatten, die ihnen vor der Pandemie nicht aufgefallen war, weil sie zu dieser Zeit noch nicht im Home-Office gearbeitet hätten. Gefehlt habe allerdings die soziale Kontrolle durch Kolleg*innen etwa am Arbeitsplatz. Angesichts eines derartigen Anstiegs an Kontaktaufnahmen sei allerdings "davon auszugehen, dass nicht nur die Meldung von Gewaltfällen zugenommen habe, sondern auch die Anzahl der tatsächlichen Fälle".
Lokale Hilfeeinrichtungen stehen vor großen Problemen
Während der Pandemie mussten auch örtliche Hilfeeinrichtungen wie etwa Frauenhäuser starke Einschränkungen in ihren Angeboten machen. Dies sei auch einer der Gründe, warum sich angespannte Situationen zu Hause immer mehr zuspitzen und letztendlich in Gewalt ausarten wüden, so Söchting. Giffey betonte, dass sich auch bei Betroffenen, die hier bereits Hilfe erfuhren, zunehmend eine Retraumatisierung einstelle. Dies sei auch die Konsequenz der oft noch ausgebliebenen Digitalisierung dieser Einrichtungen. Die Umstellung stelle diese Institutionen vor eine große Herausforderung. Um sie zu unterstützen, sei unter anderem ein spezielles Bundesförderprogramm ins Leben gerufen worden, das drei Millionen Euro für die Digitalisierung der Frauenhäuser bereitstelle.
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist rund um die Uhr unter der Nummer 08000/116016 per Chat oder als Online-Beratung unter www.hilfetelefon.de erreichbar. Die Beratung gibt es in 17 Sprachen sowie in Leichter und Gebärdensprache.