Kein unrealistisches Szenario. Denn der sudanesische Präsident Omar al-Bashir hat angekündigt, alle ausländischen Hilfsorganisationen des Landes verweisen zu wollen. "Innerhalb eines Jahres wollen wir keine fremden Hilfswerke mehr hier sehen," so al-Bashir, "wenn Sie uns unterstützen wollen, sollen sie ihre Sachen einfach an den Flughäfen und Häfen abgeben und wir kümmern uns dann selbst."
Al-Bashir weist Hilfsorganisationen aus
Dreizehn Hilfswerke hat der Präsident bereits des Landes verwiesen, darunter Oxfam und Save the Children sowie Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen. Bislang waren vor allem die Menschen im
Norden betroffen, nun droht der Zusammenbruch der Versorgung auch in den anderen Landesteilen. "Wir sind sehr besorgt, wie es mit den ärmsten und verwundbarsten Menschen im Sudan weitergehen
soll," so Robert Glasser, Generalsekretär von CARE, "die Ausweisung wird verheerende Konsequenzen haben."
Doch al-Bashir fürchtet sich mehr um seine eigene Zukunft als um die seiner Bevölkerung. Anlass seiner jüngsten Blockade: der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag hat einen
Haftbefehl gegen den seit 1989 amtierenden Präsidenten ausgestellt. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorgeworfen, darunter der Tod von hunderttausenden Menschen
in Darfur.
Mord, Auslöschung, Folter, Vergewaltigung, Raub, Plünderung und Vertreibung an Zivilisten standen auf der Tagesordnung, als von al-Bashir unterstützte arabische Janjaweed-Milizen in den
1990er Jahren und zwischen 2001 und 2005 in Darfur gegen die schwarzafrikanische Bevölkerung vorgingen. Mehr als 300.000 Menschen kamen ums Leben, international wurde von einem neuen Völkermord
gesprochen.
Haftbefehl gegen Staatsoberhaupt al-Bashir
ICC-Chefankläger Luis-Moreno Ocampo fordert nun Gerechtigkeit und hat am 14. Juli 2008 erstmals Haftbefehl gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt beantragt. Am 4. März gaben die Richter seinem
Vorstoß gegen Omar al-Bashir statt, sie sehen in dem Staatsoberhaupt den Verantwortlichen für die Verbrechen in Darfur und wollen ein Zeichen setzen. Die Zuständigkeit des Strafgerichtshofes
umfasst Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die internationale Gemeinschaft einigte sich 1998 auf die Errichtung, um die schlimmsten Verbrechen der Menschheit
nicht mehr ungesühnt zu lassen. Genau 108 Staaten haben das Rom-Statut bislang unterzeichnet.
Der Sudan jedoch nicht und al-Bashir wehrt sich vehement. In Khartoum trommelte er tausende Anhänger zusammen. Mit Bildern des Präsidenten demonstrierten sie auf dem Platz der Märtyrer und
bejubelten seine Rede. "Wir werden den wahren Verbrechern dieser Welt nicht nachgeben," so al-Bashir, "und das sind die westlichen Staaten, die Kolonialisten." In einem Rundumschlag verdächtigt
Al-Bashir auch die Hilfswerke der Spionage und der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof.
Der Anklagepunkt des Völkermordes wurde unterdessen in Den Haag fallengelassen. Die drei zuständigen Richterinnen Akua Kuenyehia aus Ghana, Sylvia Steiner aus Brasilien und Anita Usacka aus
Lettland konnten sich nicht darauf einigen, ob es sich bei den Fur, Massalit und Zaghawa tatsächlich um eigene Volksgruppen handelt und al-Bashir auf ihre Ausrottung zielte. Strafverteidiger
Ocampo behielt sich jedoch vor, die Anklage in diesem Punkt erneut zu beantragen.
Innerhalb der sudanesischen Regierung haben die Spannungen mit Erlass des Haftbefehls jetzt zugenommen. In Khartoum gehen Gerüchte um einen Sturz al-Bashirs um. Denn selbst Rivalen in den
eigenen Reihen wie Geheimdienstchef Gosh und Präsidentenberater Nafi Ali Nafi fürchten die internationale Isolation des Landes und vor allem ein Wiederausbrechen der Konflikte in Darfur und im
Süden des Sudan.
Neue Unruhen befürchtet
Nach zwei Sezessionskriegen konnte vor vier Jahren im Süden endlich der Durchbruch zum Frieden erzielt werden. Konfliktursachen waren wirtschaftliche Interessen an den natürlichen Ressourcen
des Südens, ethnische und religiöse Disparitäten sowie die mangelnde politische Teilhabe. Die Regierung in der Hauptstadt Khartoum und die Befreiungsbewegung des Südsudan einigten sich
schließlich auf die Schaffung einer autonomen Verwaltung, eine Einheitsregierung und eine Abstimmung über eine Unabhängigkeit im Jahr 2011.
Jetzt droht auch hier neue Unruhe. "In den kommenden beiden Jahren steht der Sudan vor historischen Entscheidungen," so der Sudan-Experte Alex de Waal, "erstens sollen seit über zwanzig
Jahren wieder demokratische Wahlen im ganzen Sudan abgehalten werden. Zweitens wird im kommenden Jahr über die Abspaltung des Südens in einem Volksentscheid abgestimmt. Internationale Isolation
und Druck könnten da kontraproduktiv sein."
Kein Ende der UN-Mission in Sicht
Im Südsudan und in Darfur befinden sich derzeit 26.000 UN-Blauhelmsoldaten, die mit dem Schutz der Zivilbevölkerung und der Überwachung des Friedens betraut sind. Auch sie fürchten, al-Bashir
könnte die Zusammenarbeit aufkündigen. "Bislang ist es zu einem zufrieden stellenden Maß an Zusammenarbeit mit der Regierung gekommen," so John Holmes, UN-Koordinator für humanitäre Hilfe, "doch
wenn wir die neu entstehenden Lücken nicht schließen können, wird es zu neuen Ausbrüchen kommen." Die Zusammenarbeit mit den sudanesischen Behörden ist dringend notwendig, ein Ende der UN-Mission
würde den Frieden kollabieren lassen.
Doch wie es nun mit al-Bashir weitergeht, ist unklar. Offiziell kann er das Land nur noch in Richtung von Staaten verlassen, die das Rom-Statut über den Internationalen Strafgerichtshof
nicht unterzeichnet haben. Alle anderen Staaten wären verpflichtet, ihn festzunehmen und nach Den Haag auszuliefern. Sollte sich in Khartoum nichts bewegen, kann der Strafgerichtshof den
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anrufen. Dieser könnte dann über Zwangsmaßnahmen beraten - oder aber das Verfahren suspendieren. Über eigene Polizeikräfte verfügt der Strafgerichtshof
nicht.
Die Volksrepublik China fordert derzeit eine Aufgabe des Verfahrens, die Afrikanische Union wünscht sich im Namen des Friedens eine Unterbrechung. Im Sudan stehen Gerechtigkeit und Aufarbeitung gegen Frieden und Stabilität. Der wichtigste Oppositionspolitiker Sadiq al-Mahdi von der Umma Partei schlägt daher einen Mittelweg vor und fordert die Einrichtung eines Strafgerichtshofes vor Ort, der mit sudanesischen und internationalen Richtern besetzt werden würde. "So könnte Stabilität gewahrt und der Präsident zur Rechenschaft gezogen werden," so al-Mahdi. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag steht diesem Ansinnen nicht abgeneigt gegenüber, auch in Sierra Leone und in Ruanda wurden schwere Verbrechen vor Ort verhandelt. Nun ist die internationale Gemeinschaft gefragt, einen ausbalancierten Weg zu finden.
Jérôme Cholet arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten. Themen sind Wahlen, Armut und Entwicklung.
Foto: Das Bild der Darfur-Flüchtlinge ist einem der zwölf Flüchtlingslager im Osten des Tschad aufgenommen worden. Copyright UNHCR
Weitere Informationen:
Auch die UNO-Flüchtlinshilfe warnt nach der Ausweisung von Vertretern humanitärer Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) aus dem Sudan, vor möglichen "ernsten Folgen": Neue Fluchtbewegungen
seien vorprogrammiert, wenn besonders hart betroffene Menschen dringend benötigte Hilfe nicht mehr erhalten. Mehr dazu:
http://www.uno-fluechtlingshilfe.de/?page=428
Bundesminister Steinmeier forderte angesichts des Haftbefehls gegen den sudanesischen Präsidenten Al Baschir den Sudan auf, "die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshof zu respektieren und besonnen darauf zu reagieren. Dazu gehört die Einhaltung internationaler Regeln zum Schutz ausländischer Missionen und Nichtregierungsorganisationen." Mehr dazu unter http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Infoservice/Presse/Meldungen/2009/090304-BM-Baschir.html
arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.