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Gaddafis Götterdämmerung

von Ramon Schack · 22. Februar 2011
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Die Aufstände, die vor einigen Tagen in der westlibyschen Stadt Bengazi begannen, eine Region die vom Gaddafi-Clan systematisch vernachlässigt wurde und zu den ärmsten des Landes gehört, haben inzwischen auf die Hauptstadt Tripolis übergegriffen. Der sich ansonsten reformfreudig gebende Sohn Gaddafis Seif-al Islam, ein enger Freund des verstorbenen österreichischen Politikers Jörg Haider, setzte seinen Untertanen in einer Fernsehansprache sprichwörtlich die Pistole auf die Brust.

Er bat den Libyern eine Wahl zwischen Pest und Cholera an. Entweder würde das Volk "Reformen historischen Ausmaßes" akzeptieren, eingeleitet vom Regime selbst, oder es würde zu einem "grässlichen Blutvergießen" kommen, flankiert von Bürgerkrieg und einem drohendem Auseinanderbrechen des Staates, verkündete der Lieblingssohn des sogenannten Revolutionsführers.

40 Jahre Gaddafi, was kommt danach?
Es stellt sich die Frage, ob dieses nordafrikanische Land einen Regime-Change erleben wird wie seine Nachbarstaaten Tunesien und Ägypten, beziehungsweise wer das durch die über vierzigjährige Dauerherrschaft Gaddafis und seiner Kamarilla verursachte Machtvakuum ausfüllen könnte?

Gaddafi ist im Westen schon immer weit überschätzt worden. Er war nie ein großer arabischer Volksheld, als der er gern gegolten hätte. Einige naive Journalisten und Staatsoberhäupter konnte er mit seinen theatralischen Beduinenauftritten beeindrucken. In den übrigen Staaten der arabisch-islamischen Welt wurde er als "Mahbul", als Verrückter, bezeichnet.

Gaddafi mag für seine Untertanen ein weniger blutrünstig veranlagter Despot sein als Sadam Hussein es war. Aber harmlos ist dieser Autokrat nicht. Im Gegensatz zu Sadam Hussein, der die eigene Bevölkerung drangsalierte und zahllose Morde im Inland befahl, sich aber niemals als internationaler Terrorist betätigt hat. Gaddafi hingegen hat Verschwörer, Attentäter, Aufständische und Bombenleger weltweit unterstützt, von Nordirland bis zu den südlichen Philippinen.

Das Fallbeispiel Libyen symbolisiert einen der eklatantesten Fehlentwicklungen der westlichen Außenpolitik gegenüber der arabischen Welt in den letzten Jahren. Nach langen Verhandlungen hatte dieser Diktator sich seinerzeit dazu bereit erklärt, seine geheimen Rüstungsschmieden und Laboratorien den Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Agentur zum Zweck der Beseitigung zu öffnen.

Fehlverhalten westlicher Außenpolitik
In der westlichen Presse wurden damals Gerüchte gestreut, als stände die libysche Atomwaffe kurz vor ihrer Entwicklung. Es war dem damaligen Vorsitzenden der Internationalen Atom-Kontroll-Agentur, dem Ägypter Mohammed el-Baradei, zu verdanken, das ganze Gerede über angebliche libysche Massenvernichtungswaffen als groteske Übertreibung entlarvt wurde.

Als Gegenleistung für diesen Kuhhandel wurden die westlichen Sanktionen gegen Libyen aufgehoben, Gaddafi selbst erwartete eine Garantie, das an seiner Position als Staatsoberhaupt nicht gerüttelt wird. Dieses Beispiel, wahrlich kein Einzelfall, konterkarierte die damals von den USA und Großbritannien betriebene Politik, die arabische Welt von ihren verbrecherischen Tyrannen zu befreien und auch im "Dar-ul-Islam" die Ausbreitung westlicher Demokratiebegriffe zu protegieren.

Der damalige britische Premierminister Tony Blair lobte damals Gaddafi als weisen Staatsmann und gewährte dem Libyer Straffreiheit, obwohl dieser wohlweislich für die Sprengung einer amerikanischen Verkehrsmaschine über der schottischen Ortschaft Lockerbie und für den Absturz einer Air-France-Maschine über der Sahara offiziell die Verantwortung trug, während man gleichzeitig Syrien und den Iran als Schurkenstaaten verteufelte und nur dort Menschenrechtsverletzungen offensiv kritisierte.

Die Ausbeutungsrechte der reichen libyschen Erdölfelder mögen für Blair bei seiner Umschmeichelung Gadaffis sicherlich eine Rolle gespielt haben. In diesem Zusammenhang sollte einmal daran erinnert werden, dass zumindest vorläufig die engen Verbündeten des Westens, vom brodelnden Zorn ihrer Volksmassen bedrängt oder beseitigt werden, und -noch- nicht die Regime in Teheran oder Damaskus.

Unabhängig davon, wie sich die Revolution der Libyer in den nächsten Tagen entwickeln wird, unabhängig auch davon, welche autokratischen Herrscher in der Region noch fallen werden, dieser Tage erleben wir nicht nur einen Frühling in der arabischen Welt oder den Zusammenbruch morscher Regime.Nein, wir erleben auch die Bankrotterklärung einer gescheiterten westlichen Außenpolitik - gegenüber der in Unruhe und Aufbruch befindlichen Arabischen Welt.

Autor*in
Ramon Schack

ist Politologe und Journalist.

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