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Friedensgespräche, die es nicht gibt

von Joachim Wagner · 2. Juni 2010
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Noch aufgebrachter zeigt sich der vor kurzem aus dem Amt geschiedene UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan Kai Eide. Der Zugriff habe, so seine bittere Kritik in einem BBC-Interview, die seit Anfang 2009 laufenden "Geheimverhandlungen zwischen den Taliban und der UN gestoppt. Die Pakistani haben nicht die Rolle gespielt, die sie spielen sollten".

Der Grund der gemeinsamen Empörung Karsais und Eides: Baradar gilt in der Taliban-Führung als der einflussreichste Befürworter von Friedensgesprächen. Mit seinen Gesandten haben beide über Monate die Möglichkeit von Friedensgesprächen ausgelotet, Eide zuletzt im Januar in Dubai.

Kein erkennbarer Grund für die Verhaftung

Das ungelöste Rätsel: Warum haben Pakistan und die USA den Taliban-Vizechef wenige Wochen vor der Großen Ratsversammlung festgesetzt und ihre Trumpfkarte für Verhandlungen aus dem Spiel genommen? Warum haben der militärischer Nachrichtendienst der Streitkräfte Pakistans (ISI) und die CIA sich Baradas bemächtigt, obwohl US-Präsident Barack Obama seit Dezember 2009 dafür eintritt , "die Tür für alle Taliban zu öffnen, die der Gewalt abschwören und die Menschenrechte achten"?

Schlüssige Antworten auf diese Fragen gibt es bisher nicht, bestenfalls plausible Hypothesen.

Tatsache ist, dass wegen der Verhaftung Baradars nach Geheimdienstinformationen alle Gesprächskanäle von Karsai und der UN zu den Taliban-Führern tot sind. Sehr weit waren beide Seiten bei diesen Sondierungen aber wohl nicht gekommen, wie Kai Eide in der BBC einräumte: nicht mehr als "Gespräche über Gespräche".

Alle Sondierungen, auch die Geheimverhandlungen in Saudi-Arabien im September 2008, sind bisher aufgrund eines tiefen gegenseitigen Misstrauens und unannehmbarer Vorbedingungen vor Beginn von Friedensgesprächen erfolglos geblieben. Die Taliban wollen erst verhandeln, wenn die ISAF-Truppen das Land verlassen haben. Die Regierung Karsai fordert unter anderem einen Gewaltverzicht, die Anerkennung der Verfassung und der Menschenrechte und die Kappung aller Bande zu Al Kaida und anderen terroristischen Gruppen.

Al Kaida als Belastung

Bei der letzten Forderung scheinen die starren Fronten ein wenig zu bröckeln. Nach Einschätzung von Thomas Ruttig, dem wohl besten deutschen Afghanistan-Kenner, werden sich die Islamisten zwar nicht von Bin Ladens Terrortruppe distanzieren. Aber sie könnten bereit sein, die Beziehung zu lockern, weil sie zu einer Belastung geworden sind. Deshalb versichern die Taliban inzwischen öffentlich, dass sie keine Gewalt in andere Länder tragen wollen.

In der Stellungnahme zur Londoner Konferenz geht der Taliban-Führungsrat sogar noch einen Schritt weiter. Er will dafür sorgen, dass aus Afghanistan kein Terror mehr exportiert wird: "Wir werden nicht erlauben, dass unser Boden gegen andere Länder genutzt wird." Das heißt: Al Kaida darf im Land bleiben, es aber nicht mehr als Terrorbasis nutzen. Da es eine einheitliche Taliban-Führung nicht gibt, müssen Friedensgespräche mit mindestens drei Gruppen geführt werden: der Hesb-i-Islami, dem Haqqani-Clan und den Kerntaliban von Mullah Omar.

Bluttaten gegen den Friedensprozess

Einen Etappensieg hat die Regierung Karsai bei den Gesprächen dem Kriegsherrn Gulbuddin Hekmatjar errungen, der im Osten Pakistans zwischen 500 und 1000 Kämpfer befehligt. Ende März hat der Präsident eine fünfköpfige Delegation der Islamisten in seinem Palast empfangen und anschließend zum ersten Mal die Öffentlichkeit informiert. Im Zentrum der Gespräche: ein 15-Punkte Friedensplan der Hesb-i-Islami. Er fordert unter anderem einen Zeitrahmen für den Abzug der ISAF-Truppen. Trotz der Friedenskontakte boykottiert der radikale Flügel der Hesb-i-Islami die Große Ratsversammlung "als nutzlose Übung". Die Gemäßigten haben dagegen Stühle im großen Zelt eingenommen.

Mit dem "bösen Satan" zu sprechen, ist für das Haqqani- Netzwerk mit ungefähr 4000 Kämpfern bisher unvorstellbar. Diese Hardliner arbeiten eng mit Al Kaida und ausländischen Terrororganisationen zusammen. Auf ihr Konto gehen nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste die beiden schweren Anschläge im Januar und im Februar in Kabul. Einen Tag nach dem Anschlag im Januar erklärten die Taliban, dass sich die Bluttat auch gegen den Versöhnungs- und Friedensprozess gerichtet habe.

Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die Gesprächsfäden zu den Kern-Taliban unter Mullah Omar neu zu knüpfen. Unter seinem Kommando sollen nach ISAF-Schätzungen 39000 Kämpfer und 9000 Kommandeure stehen. Ihre Sprecher bestreiten, dass es bisher überhaupt Friedensgespräche gegeben hat. Bereits Ende März hat das Taliban-Medien-Komitee denn auch angekündigt, dass die Gotteskrieger an der Großen Ratsversammlung nicht teilnehmen werden.

Sind die Taliban gesprächsbereit?

Die Mehrheit der Diplomaten, Geheimdienstler und Afghanistanexperten neigt zu der Auffassung, dass die Zeit für echte Friedensgespräche noch nicht reif sei. Mullah Omar und Co hätten zurzeit das Gefühl, zu gewinnen. Sie bräuchten nur noch bis zum Abzugsbeginn der ISAF-Truppen 2011 durchzuhalten. Das "Abzugsdatum", so ein westlicher Diplomat, "ist Gift für ihre Konzessionsbereitschaft."

Andere etwa wie Citha Maaß, Afghanistan-Expertin der "Stiftungen Wissenschaft und Politik", kommen hingegen zu dem Schluss, dass die Aufständischen trotz der militärischen Erfolge "bedingt gesprächsbereit" seien. Auf der Londoner Afghanistan-Konferenz wurde intensiv über Gesprächssignale aus dem Kreise verschiedener Taliban-Führer diskutiert. Die Gründe für ein Gesprächsinteresse: Viele Top-Taliban seien das Leben von Gejagten im Untergrund leid; sie haben seit Jahren kein Kontakt zur Familie und keine freie Kommunikation zum Beispiel mit dem Handy. Dazu kommen die schlechte medizinische Versorgung, immer höhere Verluste von hohen Kommandeuren und Führern durch Drohnen und Verhaftungen sowie die Sorge, über kurz oder lang, Pakistan als sicheren Zufluchtsort zu verlieren.

Mit der Großen Ratsversammlung will Präsident Karsai das Fundament für eine Versöhnung mit den Taliban legen: Große Chancen dafür bestehen wohl nicht. Keine Taliban-Gruppe nimmt teil und auch Karsais Rivale bei den letzten Präsidentschaftswahlen Dr. Abdullah hat abgesagt. Die in Kabul Versammelten, so Kate Clarks Analyse vom "Afghanistan Analyst Network", sind im großen und ganzen loyale Karsai-Anhänger und damit ungeeignet, einen nationalen Konsens vorzubereiten. Das heißt: Mit der Versammlung gaukelt Präsident Karsai eine Macht vor, die er nicht hat, und sie täuscht Erfolge bei den Friedensgesprächen vor, die es nicht gibt.

Warum haben Pakistan und die USA den Taliban-Vizechef Mullah Baradar wenige Wochen vor der Großen Ratsversammlung festgesetzt und ihre Trumpfkarte für Verhandlungen aus dem Spiel genommen? Warum haben der militärischer Nachrichtendienst der Streitkräfte Pakistans (ISI) und die CIA sich Baradas bemächtigt, obwohl US-Präsident Barack Obama seit Dezember 2009 dafür eintritt, "die Tür für alle Taliban zu öffnen, die der Gewalt abschwören und die Menschenrechte achten"? Schlüssige Antworten auf diese Fragen gibt es bisher nicht, bestenfalls plausible Hypothesen. Die Hypothesen des Autors Joachim Wagner finden Sie hier: Vergoldete Verhaftungen Dr. Joachim Wagner ist Stellv. Studioleiter im ARD-Hauptstadtstudio.

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Joachim Wagner

war Assistenzprofessor für Strafrecht. Bekannt wurde er als ARD-Journalist, der u. a. aus London und Berlin berichtete. 2011 erschien sein Buch „Richter ohne Gesetz“ über islamische Paralleljustiz.

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