Seit nunmehr acht Jahren versucht die internationale Gemeinschaft - und an deren Seite die Bundesrepublik - unter anderem die Taliban-Herrschaft in Afghanistan in die Knie zu zwingen und demokratische Strukturen aufzubauen. Bislang vergeblich. Wie das aktuelle Friedensgutachtens 2009 bescheinigt, hat sich die Sicherheitslage dort seit 2004 sogar "dramatisch verschlechtert". An dem Gutachten haben die fünf führende Friedens- und Konfliktforschungsinstitutionen mitgewirkt: Das Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) sowie das Bonn International Center for Conversion (BICC).
"Wie beenden wir Kriege?"
Keine andere Krise polarisiert derzeit die deutsche Bevölkerung so sehr wie die afghanische. Das Spektrum reicht von "sofort alle Truppen abziehen" bis hin zur Forderung "die deutsche Militärpräsenz auszuweiten". Noch immer existieren viele Konflikte auf der Erde, die für unermessliches Leid sorgen. Angesichts der emotionsgeladenen Diskussion im Zusammenhang mit Afghanistan scheinen diese aber vom Rezeptionsradar der Öffentlichkeit verschwunden zu sein. Neben Afghanistan haben die Wissenschaftler neun weitere aktuelle Kriege wie auch ehemalige Krisen analysiert. Hierzu zählen: der Irakkrieg, Südkaukasus, der nicht enden wollende Gaza-Krieg, Westbalkan, der Sudan, der Krieg gegen den Terrorismus, Somalia und der Kongo. Es geht ihnen nicht darum, die Aufmerksamkeit auf vermeintlich vergessene Kriege zu lenken, sondern um die empirische Basis zu schaffen, anhand derer die Frage beantworten werden soll: "Wie beenden wir Kriege?"
Notwendiger Perspektivenwechsel
Die Frage resultiert aus einem notwendig gewordenen Perspektivenwechsel. Anstatt sich wie bisher auf Prävention und Nachsorge (sog. post conflict peace building) zu konzentrieren, so die Autoren des Gutachtens, solle das Augenmerk auf die Kriegsbeendigung gelegt werden. Möglichkeiten und Strategien für die Beendigung von Kriegen müssten stärker in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sowohl der Forschung als auch der Praxis gerückt werden.
Sie fordern daher, das Bild von den gegenwärtigen Konfliktherden neu zu zeichnen. Nur wenn dieses Bild "realistischer" werde, lasse sich eine tragfähige Strategie zur Lösung der Konflikte entwickeln. Das hänge mit der über die Jahre vollzogene Transformation von Kriegen zusammen, die eben nicht mehr nur zwischen Staaten und auf einem Schlachtfeld ausgetragen werden. Innerstaatliche Auseinandersetzungen haben in der Zahl und an Intensität zugenommen, ebenso wie Überfälle, Attentate und Massaker, die innerhalb der betroffenen Gesellschaft und häufig ohne zentrale Führung stattfinden.
Ein neuer Hoffnungsträger
Das Jahrbuch der fünf Institute für Friedens- und Konfliktforschung greift ein weiteres bedeutendes Thema auf, nämlich den Wandel des Politikstils jenseits des Atlantiks. Unter der Überschrift "Transatlantische Agenda nach Bush" wird die neue US-Außenpolitik fassettenreich analysiert. Die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten ist in der Welt mit viel Beifall, aber auch mit großen Erwartungen aufgenommen worden. Es bestehe Hoffnung, dass wichtige Aufgaben - wie die Notwendigkeit der atomaren Abrüstung und die Perspektive einer nuklearwaffenfreien Welt -, wieder gemeinsam angepackt werden könnten. Den Grundstein dazu legte Obama selbst bei seinem Auftritt im April dieses Jahres in Prag.
Das Friedensgutachten erweist sich als besondere Hilfe für den Rat suchenden Praktiker. In seinem dritten Themenkomplex wird die nichtstaatliche Komponente der Friedenspolitik unter die Lupe genommen. Vor allem werden die zivilen - nichtmilitärischen - Formen der Konfliktbearbeitung und die Prävention eruiert. Das ist eng mit der Feststellung verbunden, dass der jeweiligen Bevölkerung eine zentralere Rolle zukommen müsse. Sowohl Prävention als auch Konfliktbeendigung und Nachkriegssorge können nur durch die Gewinnung der Loyalität des Volkes erfolgreich verlaufen.
"Eine allgemeine Formel für Kriegsbeendigung gibt es nicht." So lautet die knappe und letztlich wenig überraschende Antwort auf die der Studie zugrunde liegenden Frage. Dennoch stellt das Gutachten eine umfassende Zusammenschau wichtiger globaler Brennpunkte dar. In erster Linie bietet es einen ausgezeichneten Einblick und Überblick. Wer sich zum Ziel gesetzt hat bestehende Konflikte besser verstehen zu wollen, findet in dem Friedensgutachten 2009 gewiss einen lehrreichen Wegbegleiter -auf seinem dem Weg zum Frieden.
Jochen Hippler, Christiane Fröhlich, Margerte Johannsen, Bruno Schoch, Adreas Heinemann-Grüder (Hg): Friedensgutachten 2009, LIT-Verl.,12.90 EUR, ISBN 978-3-643-10087-0