Meinungsumfragen befeuern die Hoffnung auf eine Ablösung. In einem halben Dutzend, zum Teil nach der Sexaffäre des Parteifreundes und Ex-Direktors des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn veröffentlicht, liegen PS-Chefin Martine Aubry und ihr Vorgänger an der Parteispitze, Francois Hollande, deutlich vor Sarkozy.
Aber der Sieg über ihn ist deshalb noch lange nicht in der Tasche. Er sitzt mit einer komfortablen Parlamentsmehrheit an den Schalthebeln der Macht. Ein Teil der Industrie wird mit
Millionenspenden nicht geizen. Deshalb das Bemühen der PS, den Franzosen ein alternatives Wahlprogramm zu präsentieren, dessen Eckpunkte in ein Regierungsprogramm übernommen würden.
Realistisch oder nicht, die Wahlversprechen der größten Oppositionspartei wurden in den Medien weder ablehnend noch negativ aufgenommen. Anders bei den Regierenden: Die Regierungspartei UMP
hält sie für alte Kamellen. Für die Grünen gehen sie nicht weit genug. Die linksradikale Splitterpartei Front "de gauche" (Linksfront) kritisiert verhalten, weil sie sich die Tür für ein
Wahlbündnis offenhalten will. Im Herbst wird klar sein, wer alles mit den Sozialisten marschiert.
Bis Ende Juni müssen sich die Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im Mai 2012 melden. Bis Oktober wird in Vorwahlen, an denen auch Sympathisanten der PS teilnehmen können, der offizielle
Bewerber ermittelt. Im November krönt ein Sonderparteitag den linken Herausforderer. Offiziell hat erst Francois Hollande sein Interesse angemeldet, Martine Aubry will sich bis zum Sommer
erklären. Die frühere Bewerberin der Linken, Ségolène Royal, hat keine Chancen.
Polizei in der Nachbarschaft
Die Sozial- und Wirtschaftspolitik bildet auf den zehn Seiten "le changement" die zentrale Achse. Die Jugendarbeitslosigkeit - etwa 27 Prozent - will die PS mit der Einrichtung von 300.000
Zukunftsjobs bis 2017 abmildern. Pro Jahr sollen 150.000 Sozialwohnungen gebaut werden. Bewerbungen von Eingewanderten sollten ihre Unterlagen zwar mit Adresse, aber ohne Namen und Foto
einreichen.
Zu oft wurden Bewerbungen aus fremdenfeindlichen Gründen abgelehnt. In den schwierigen Stadtvierteln von Metropolen wie Paris, Lyon oder Marseille werden Polizei und Gendarmerie Kommissariate
eröffnen, die Sarkozy gleich nach der Präsidentenwahl vor vier Jahren unter dem Hinweis, die Beamten seien nicht für Pingpong-Spiele mit Randalierern da, geschlossen hatte. Seitdem sind die
Beziehungen zwischen vielen Jugendlichen und Sicherheitskräften, zum Beispiel in den Pariser Banlieues, äußerst gespannt; ihr Einsatz zeigt oft von völlige Unkenntnis der Lage in den Vorstädten.
Zieht in den Elyséepalast ein Sozialist oder eine Sozialistin ein, kehrt die Regierung zum Renteneintrittsalter von 60 Jahren zurück. Sarkozy hatte es auf 62 Jahren angehoben. Es ist nicht
sicher, ob die Mehrheit der Franzosen die Kehrtwendung unterstützt. Weiter plant die PS eine Einfuhrsteuer auf ausländische Produkte, die mit sozialen und ökologischen Normen nicht vereinbar
sind.
Junge Ärzte sollten angehalten werden, sich in der Provinz niederzulassen, wo die medizinische Versorge lückenhaft ist. Die moderne Ausstattung von Krankenhäusern steht als Mittelpunkt im
Sozialreformprogramm. Einige hundert Steuernischen sollen geschlossen werden. Und im Medienbereich wird der Staatschef das von Sarkozy eingeführte Recht verlieren, die Spitzen des staatlichen
Fernsehens und Rundfunks allein bestimmen zu können.
DSK hat keine Hausmacht mehr
Die Partei hat sich nach der Verhaftung von Strauss-Kahn schnell berappelt. Zumal da DSK noch nicht seine öffentliche Präsidentschaftskandidatur angekündigt hatte. Aufatmen herrscht
darüber, dass die schweren moralischen Bedenken über DSK jetzt aufbrechen und nicht in der heißen Schlussphase des Wahlkampfes. Die sozialistische Partei hätte den Skandal wenige Wochen oder
Monate vor der Wahl politisch nicht überlebt. DSK spielt in der PS keine Rolle mehr. Selbst wenn sich seine Unschuld oder eine Mitschuld des 63-Jährigen herausstellt, er wird sich auf keine
Hausmacht mehr berufen können.
Der Opposition in Frankreich geht es außerdem um eine neue politische Kultur. Sarkozy hat mit seinem ruppigen Stil etliche Staatsmänner verprellt. Das Verhältnis zu den USA war nie
schlechter. Mit Berlin sind die Kontakte eng, aber Paris fühlt sich als Grande Nation zu Konsultationen nicht verpflichtet. Allein über die Atomenergiepolitik von KanzlerinAngela Merkel gibt es
viel Kritik in der Metropole, obwohl Sarkozy sehr gut weiß, dass die Haltung der Sozialisten, Frankreich werde sich in 10 oder 15 Jahren ebenfalls von der Kernkraft verabschieden müssen, in
weiten Kreisen der Bevölkerung akzeptiert wird. Ob die 58 Reaktoren in Frankreich, die 80 Prozent des Strombedarfs des Landes decken, in der Wahlkampagne eine Rolle spielen, wird sich zeigen.
ist Auslandskorrespondent in Frankreich für verschiedene Tageszeitungen und Autor mehrerer politischer Bücher, u. a. „Willy Brandt – ein politisches Porträt“ (1969).