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Francois Mitterand - ein Mythos wird einhundert Jahre alt

Er war der erste und der am längsten amtierende sozialistische Präsident Frankreichs: Francois Mitterand. An diesem Mittwoch wäre er einhundert Jahre alt geworden. Die Franzosen haben ihn in guter Erinnerung behalten. Manche verklären ihn bis heute.
von Christine Longin · 25. Oktober 2016
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Die Begeisterung war groß, als François Mitterrand am 10. Mai 1981 um 22 Uhr 21 im Rathaus seiner politischen Wahlheimat Chateau-Chinon vor die Presse trat. „Die Ergebnisse, die mir vorliegen zeigen, dass die Franzosen den Wandel gewählt haben“, sagte der frisch gewählte Präsident in seiner vier Minuten langen Ansprache. Zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik hatte ein Sozialist die Präsidentenwahl gewonnen. Zweimal hatte Mitterrand es versucht und war gescheitert – erst gegen Charles de Gaulle und dann gegen Valéry Giscard D’Estaing. Doch am 10. Mai war seine Stunde gekommen: mit knapp 52 Prozent gewann er gegen Amtsinhaber Giscard. „Ich ermesse das Gewicht der Geschichte“, bekannte der damals 64-Jährige.

Mitterands Erbe ist die Europäische Union

Es folgten zwei Amtszeiten von insgesamt 14 Jahren, an die 65 Prozent der Franzosen laut einer Umfrage vom Januar eine „gute Erinnerung“ haben. Dabei ist die Bilanz durchaus gemischt. Gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft schaffte er die Todesstrafe ab, machte die Homosexualität straffrei und ließ Abtreibungen von der Krankenkasse bezahlen. Auch eine gewisse Dezentralisierung Frankreichs geht auf Mitterrands Konto. Außenpolitisch legte er zusammen mit Bundeskanzler Helmut Kohl die Grundlagen für die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union. Unvergessen ist der Handschlag der beiden Politiker 1984 über den Gräbern von Verdun. „Europa ist das, was zusammen mit der Abschaffung der Todesstrafe von Mitterrand bleibt“, bemerkte „Le Monde“ zum 20. Todestag im Januar.

Trotz der Nähe zu Kohl zögerte Mitterrand, als 1990 die deutsche Wiedervereinigung anstand. Er hatte Sorge, dass ein wiedervereinigtes Deutschland mit plötzlich 80 Millionen Einwohnern zu stark in Europa werden könne. In der Wirtschaftspolitik begann der Sohn eines Essigfabrikanten mit einem stramm sozialistischen Programm von Verstaatlichungen, leitete  1983 dann aber eine Wende zur Marktwirtschaft ein.

Er machte die Sozialisten sozialdemokratischer

„Unter Schmerzen hat der französische Sozialismus innerhalb einiger Jahre seine marxistische Rhetorik aufgegeben, um sozialdemokratisch zu werden“, schreibt der Historiker Mathias Bernard über jene Zeit. Zwei weitere  Phänomene sind mit den Mitterrand-Jahren verbunden : die Massenarbeitslosigkeit, die sich in Frankreich einnistet, und der Aufstieg des Front National. „Die anhaltende Krise, die wir heute durchmachen, stammt aus der Mitte der 80er Jahre mit allen ihren Symptomen“, bemerkt Bernard in „Le Monde“ kritisch. Dennoch wird die Präsidentschaft Mitterrands im Nachhinein verklärt. Selbst seine vorübergehende Nähe zum Vichy-Regime, das mit der Nazi-Besatzung kollaborierte, beschädigte seinen Mythos nicht.

Auch sein doppeltes Privatleben, das der stets mysteriös wirkende Präsident vor der Öffentlichkeit geheim hielt, verziehen ihm die Franzosen. Erst 1994  erfuhren sie aus der Klatschzeitung „Paris Match“, dass ihr Staatschef zwei Familien hatte : eine offizielle mit Danielle Mitterrand und den beiden Söhnen und eine inoffizielle mit seiner Geliebten Anne Pingeot und der gemeinsamen Tochter Mazarine. Erst Anfang Oktober erschien der Briefwechsel Mitterrands mit Pingeot, der in 1200 Briefen einen ganz anderen Menschen zeigt als den allseits bekannten kühlen Politiker.

Sein Grab als Pilgerstätte der Sozialisten

Ungewöhnlich war deshalb auch das Begräbnis Mitterrands, der am  8. Januar 1996 an den Folgen einer den Franzosen lange verschwiegenen Prostatakrebserkrankung starb. Neben Danielle Mitterrand und den Söhnen standen auch Anne Pingeot und ihre Tochter Mazarine am Sarg in Mitterrands Geburtsort Jarnac. Der wurde nach seinem Tod zu einer Art Pilgerstätte der Sozialisten. Zum 20. Todestag kam auch François Hollande, der zweite sozialistische Präsident nach Mitterrand,  an das Grab. „Alles ist Kontinuität. Alles ist Wandel“, schrieb der Staatschef in das goldene Buch.

Autor*in
Christine Longin

Christine Longin begann ihre journalistische Laufbahn bei der Nachrichtenagentur AFP, wo sie neun Jahre lang die Auslandsredaktion leitete. Seit vier Jahren ist sie Korrespondentin in Frankreich, zuerst für AFP und seit Juli für mehrere Zeitungen, darunter die Rheinische Post.

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