Flüchtlinge und die Festung Europa: Wie Frontex zur humanitären Krise beiträgt
Das deutsch-französische Tandem läuft wieder, zumindest ein bisschen. Waren sich Angela Merkel und François Hollande in Sachen Griechenland nicht immer einig – sie plädierte fürs Sparen, er für ein Wachstumsprogramm – so ziehen die beiden nun wieder an einem Strang: In einem gemeinsamen Brief an die europäische Kommission forderten sie unlängst mehr Strenge in der Flüchtlingsfrage. „Alle Mitgliedstaaten“, so heißt es in dem Schreiben, „müssen die Regeln des gemeinsamen europäischen Asylsystems respektieren und umsetzen“. Klare Worte von zwei Politikern, die lange brauchten, um sich öffentlich zur aktuellen Flüchtlingssituation zu äußern.
Frontex-Auftrag: Bewachung der EU-Außengrenzen
Es passte also gut, dass das Info-Café BerlinParis am Dienstag in Berlin zur Flüchtlingsdiskussion aus deutsch-französischer Sicht lud und dazu Michael Richters Dokumentarfilm „Festung Europa – Einsatz gegen Flüchtlinge“ zeigte, welcher sich kritisch mit der Arbeit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex auseinandersetzt. „Festung Europa“ entstand 2013 – auch zwei Jahre später hat er nichts von seiner Aktualität eingebüßt.
Die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union – so der offizielle Name von Frontex – wurde 2004 gegründet. Ihre Aufgabe ist es, die operative Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten beim Schutz der EU-Außengrenzen zu koordinieren. Kritiker werfen Frontex vor, Menschenrechte zu missachten. Denn offiziell soll Frontex illegale Migration verhindern. Der Film zeigt aber: Frontex macht keinen Unterschied zwischen „legalen“ und „illegalen“ Flüchtlingen. Wie auch, wo doch jeder dieser Menschen als „target“, gilt, als Ziel. Und diese Ziele werden effizient von den EU-Außengrenzen entfernt. So unterstützt Frontex zum Beispiel in der griechisch-türkischen Grenzregion griechische Beamte bei der Festnahme illegaler Flüchtlinge. Diese werden in grenznahe Aufnahmelager gebracht und oft monatelang festgehalten. Laut Aussage von Flüchtlings- und Hilfsorganisationen sind die Zustände dort katastrophal und verstoßen gegen Menschenrechtsstandards. Frontex allerdings sieht sich hier nicht in der Pflicht.
Militarisierung der Immigration
Schließlich sorgt Frontext lediglich dafür, dass Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa abgefangen werden, ob an Land oder im Meer. Was dann mit diesen Menschen geschieht, darum müssen sich die einzelnen Staaten kümmern. Die Verantwortung wird abgegeben. Frontex-Chef Klaus Rösler betont vor der Kamera, durch Frontex-Einsätze sinke die Zahl der Flüchtlinge, die auf ihrem Weg nach Europa sterben. Eine zynisch wirkendende Aussage, denn Tatsache ist: Das Mittelmeer ist ein Massengrab, in dem seit den 1990er Jahren schätzungsweise 20.000 Menschen ertrunken sind. Für Karl Klopp von der Initiative Pro Asyl ist klar: Weil man den Kontinent nicht abriegeln könne, erhöhe Frontex eben den Preis dafür, nach Europa zu kommen. Dadurch leiste Frontex einen „Beitrag zur humanitären Krise“.
Nach der Filmvorführung diskutierten Catherine Wihtol de Wenden, Expertin für internationale Migration, und Jochen Schwarz, Jurist und Flüchtlingshelfer, über die aktuelle Situation. Laut Wihtol de Wenden ist das Hauptproblem von Frontex, dass die Aufgaben der Agentur nur sehr vage definiert sind: Soll Frontex die Flüchtlingsbewegungen lediglich beobachten oder im Bedarfsfall auch rettend eingreifen? Sie wies außerdem darauf hin, dass die italienische Operation Mare Nostrum sehr viel mehr Flüchtlinge aus Seenot gerettet hat, als Frontex. Letztere befände sich in einem richtigen „Krieg“ gegen die Immigration. Frontex sei somit ein „Instrument der Militarisierung“ der Immigration.
Gesetze für ein soziales und humanitäres Europa
Diese Einschätzung teilte auch Jochen Schwarz. Bei Frontex ginge es „nur um Abwehr“. Er schlug den Bogen von Frontex zur europäischen Asylpolitik. Es gebe, so Schwarz, ein neues Problem, und zwar die EU-Binnenmigration. Das Dublin-System sehe vor, dass Flüchtlinge in dem EU-Staat einen Asylantrag stellen müssen, welchen sie zuerst betreten haben. Laut Schwarz zeigt sich aber gerade, dass die Flüchtlinge dieses System nicht akzeptieren. Sie reisen in andere EU-Staaten weiter, sie „stimmen mit den Füßen ab“. Die Flüchtlinge würden so immer weiter durch Europa reisen, ohne jemals wirklich anzukommen. Schwarz fordert deswegen eine Reform der europäischen Asylpolitik: „Wenn Europa tatsächlich ein soziales und humanitäres Europa sein will, und nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, dann muss es auch die Gesetze dafür machen.“
Hinweis: Die Dokumentation „Festung Europa – Einsatz gegen Flüchtlinge“ von Michael Richter kann hier online geschaut werden.