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EU-Parlament: Sacharow-Preis für zwei geflüchtete Frauen

Wenn es nach dem Willen der Rechtspopulisten ginge, wären sie gar nicht hier: Nadija Murad und Lamija Aji Bashar konnten sich aus den Fängen des „Islamischen Staats“ befreien und nach Deutschland fliehen. Jetzt erhalten die beiden Jesidinnen den Sacharow-Preis des EU-Parlaments.
von Paul Starzmann · 27. Oktober 2016

Geht es in den sozialen Medien um Flucht und Asyl, tauchen sofort die wildesten Verschwörungstheorien auf: Es gebe gar keine Flüchtlinge, heißt es oft in den Kommentarspalten bei Facebook und Co. Die vielen Menschen aus Syrien und dem Irak, die in Deutschland Schutz suchen, seien in Wirklichkeit nichts anderes als „Wirtschaftsflüchtlinge“ oder „Asylbetrüger“, behaupten viele im Netz.

Wer diese Thesen der Rechtspopulisten glaubt, sollte sich einmal mit dem Schicksal der beiden Irakerinnen Nadija Murad und Lamija Aji Bashar auseinandersetzen.

Fürsprecherinnen für IS-Opfer

Beide wurden 2014 Opfer der Fanatiker des „Islamischen Staats“ (IS). Als Angehörige der religiösen Minderheit der Jesiden im Irak gerieten die zwei Frauen ins Visier der Islamisten. Im Sommer 2014 fielen die IS-Kämpfer in das Heimatdorf der beiden Jesidinnen ein und ermordeten alle männlichen Einwohner. Die Frauen und Mädchen wurden verschleppt, durch sexuelle Gewalt erniedrigt und missbraucht. Einen regelrechten Menschenhandel betrieben die IS-Schergen mit den Jesiden: Rund 12.000 Angehörige der größtenteils kurdischsprachigen Minderheit sollen dem IS zum Opfer gefallen sein, sagt Nadija Murad.

Auch die 23-jährige Murad und ihre Schwestern wurden versklavt. Im November 2014 gelang es der jungen Frau jedoch, in den Nordirak zu fliehen, von wo aus sie weiter nach Deutschland reisen konnte. Nach mehreren Fluchtversuchen schaffte es auch Lamija Aji Bashar, sich aus den Fängen der religiösen Fundamentalisten zu befreien. Beide Frauen leben inzwischen in Sicherheit in Europa und sind so etwas wie Fürsprecherinnen für die Opfer des IS geworden.

Mutig kämpfen gegen den IS

Für ihren Mut und ihren Einsatz gegen den sogenannten Islamischen Staat erhalten die beiden jungen Frauen den diesjährigen Sacharow-Preis für geistige Freiheit des Europa-Parlaments, der am 14. Dezember 2016 in Straßburg verliehen wird. Dies gaben der Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) sowie die Vorsitzenden der Fraktionen im EU-Parlament am Donnerstag bekannt. Mit dem Preis werden Persönlichkeiten geehrt, die sich um die Menschenrechte verdient machen.

In einer Rede vor dem Straßburger Plenum erklärte Schulz: „Der Mut, für den diese Frauen stehen, und die Würde, die sie repräsentieren, sind unbeschreiblich.“ Obwohl die beiden Jesidinnen in IS-Gefangenschaft unfassbare Grausamkeiten ertragen mussten, hätten sie ihren Überlebenswillen nie aufgegeben. Vielmehr hätten die Preisträgerinnen geglaubt, „es sei ihre Pflicht zu überleben und zu kämpfen für die, die sie zurücklassen mussten. Und vor allen Dingen, um durch ihr Überleben und das Zeugnis, das sie ablegen können, zu kämpfen gegen die Straflosigkeit gegenüber denjenigen, die ungeheuerliche Verbrechen begehen“, so Schulz.

Die EU steht in der Pflicht

Murad und Bashar „fordern uns alle auf, das zu tun, was sie tun“, sagte Schulz: „Zu kämpfen gegen die Völkermordstrategie“, die der IS repräsentiere. Murad und Bashar setzten sich für die Achtung der Menschenwürde, der Glaubensfreiheit und der individuellen Freiheit ein – alles Werte, die sich Europa zu verteidigen geschworen habe.

Dass nun zwei geflüchtete Irakerinnen den mit 50.000 Euro dotierten EU-Menschenrechtspreis erhalten, kann auch als ein Zeichen gegen die Asylgegner vom rechten Rand verstanden werden: Würden die Pläne der Rassisten vom Front National bis hin zu AfD und Pegida Wirklichkeit, erhielten verfolgte Frauen wie Nadija Murad und Lamija Aji Bashar wohl keinen Schutz mehr in der Europäischen Union.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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