EU-Gipfel: Warum Italien bei Eurobonds alles oder nichts spielt
imago images / Independent Photo Agency Int.
Die Aufgabe ist gigantisch und sie könnte über das Schicksal der Europäischen Union entscheiden. Die EU-Staats- und Regierungschefs verhandeln bei ihrem Gipfel am 23. April per Video-Schaltkonferenz, wie die EU die Folgen der Corona-Pandemie meistern soll. Dabei geht es vor allem um die wirtschaftlichen und finanziellen Aspekte.
Wird der EU-Gipfel zum „Moment der Wahrheit“?
Doch es geht noch um etwas anderes, um etwas grundsätzlicheres: Es geht um einen „Moment der Wahrheit“, wie es Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron etwas pathetisch ausdrückte. Nämlich um die Frage, ob die EU künftig nicht mehr sein soll, als ein rein ökonomisches Projekt – ohne Solidarität. Wäre das der Fall, so die Befürchtung Macrons, würde das vor allen Dingen den Populisten in Südeuropa einen enormen Schub geben.
Damit richten sich die Augen auf Italien. In keinem südeuropäischen Land sind die Rechtspopulisten so stark, wie hier. Die Nr. 1 ist hier die Lega Nord. Auch wenn sie sich zur Zeit in der Opposition befindet. Ihr Anführer, Ex-Innenminister Matteo Salvini, würde bei Neuwahlen seine Partei zur stärkste Kraft machen und vermutlich die Regierung übernehmen.
Conte unter starkem Druck der Rechtspopulisten
Und das hat Folgen. Mit Blick auf den EU-Gipfel hat sich der italienische Regierungschef Giuseppe Conte sehr eindeutig positioniert: Eurobonds oder nichts. Gemeint sind damit gemeinsame Schuldverschreibungen der Euro-Länder, die zur Bekämpfung der Pandemie-Folgen auch als Corona-Bonds bezeichnet werden. Finanzinstrumente wie der ESM werden von Conte klar abgelehnt, zum einen, da sie ursprünglich geschaffen worden seien, um asymmetrische wirtschaftliche Krisen zu bewältigen (was die Corona-Krise nicht ist), zum anderen, weil dieses Finanzinstrument stark mit der Troika und den Erfahrungen, die Griechenland damit gemacht hat, verbunden wird.
Die strikte Haltung Contes ist stark innenpolitisch motiviert, wo die rechtspopulistischen und rechtsnationalistischen Parteien einen stark antieuropäischen Kurs fahren und insbesondere den ESM als trojanisches Pferd der EU brandmarken. Es gehe darum, so die rechte Propaganda, Italien seine nationale Souveränität zu rauben und unter das Diktat Brüssels zu stellen. Hinzu kommt, dass die formal stärkste Regierungspartei, die Fünf-Sterne-Bewegung, ein – um es freundlich auszudrücken – sehr ambivalentes Verhältnis zu Europa hat und sich als Partei nicht eindeutig positionieren will.
Italiens Regierung braucht einen Erfolg
Die sozialdemokratische Partito Democratico (PD) hat sich hingegen klar dafür ausgesprochen, alle zur Verfügung stehenden Finanzinstrumente zu nutzen. Hierfür hat sich zwischenzeitlich auch Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi ausgesprochen, zumal die ESM-Mittel nun ohne Bedingungen vergeben werden sollen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Regierung Conte die ESM-Mittel in Anspruch nehmen wird, bei dem EU-Gipfel aber sehr darauf achten muss, einen formalen Erfolg zu erreichen, um die innenpolitischen Divergenzen in der Balance zu halten.
Eine Vergemeinschaftung von Schulden wird von Italien nicht angestrebt, sondern eine gemeinschaftliche europäische Kreditaufnahme zu hierdurch günstigeren Konditionen. Die Regierung sucht weiterhin die enge Abstimmung insbesondere mit Frankreich und Spanien. Auf welches Modell man sich verständigen wird, ist noch unklar, aber Conte wird sicherlich von seiner anfänglichen Maximalposition abrücken und hat dies partiell auch schon getan.
Gegen rückwärtsgewandte Diskussionen um Euro-Bonds
Paolo Gentiloni (PD), EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung und von 2016 bis 2018 selbst Ministerpräsident Italiens, warnt vor einer unnützen Debatte über Euro-Bonds. „Wir sollten uns jetzt keine rückwärtsgewandten Diskussionen leisten“, so der italienische Sozialdemokrat im „Spiegel“. „Niemand schlägt derzeit die Ausgabe von Bonds vor, um die Schulden zu finanzieren, die in den vergangenen zehn Jahren aufgelaufen sind. Was wir aber brauchen, ist ein gemeinsames Instrument, um die Herausforderung des Wiederaufbaus zu finanzieren.“ Sonst riskiere man, dass die Unterschiede zwischen den Volkswirtschaften in der Eurozone und im Binnenmarkt zu groß würden und beides auseinanderbreche.
Achim Post, SPD-Fraktionsvize im Bundestag und Generalsekretär der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), unterstützt vor dem Gipfel „Recovery Bonds“, den Vorschlag des EU-Parlamentes. „Anders als ursprüngliche Vorstellungen von Corona-Bonds wären die 'Recovery Bonds' über die Verknüpfung mit dem EU-Wiederaufprogramm ein zielgerichtetes und begrenztes Instrument“, so Post. „Das ist ein Ansatz, der hoffentlich auch für Skeptiker eine Brücke bauen kann.“
Brüssel erwartet Fortschritte erst im Sommer
Auch die EU-Kommision versucht vor dem Gipfel, Brücken zu bauen. Sie will besonders die antieuropäischen Ressentiments in Italien dämpfen. Das Land hatte früher und stärker mit der Corona-Epidemie zu kämpfen und fühlte sich daher von dem anfänglichen Mangel an Unterstützung stark getroffen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich dafür öffentlich bei Italien entschuldigt und Besserung gelobt. Es geht eben auch um Gefühle, das hat man bei der EU inzwischen erkannt.
Doch damit sind die handfesten Probleme im Konflikt um die Finanzen nicht aus der Welt. Aus Brüssel werden Hoffnungen auf eine schnelle Einigung im Finanzstreit um Schulden und den Wiederaufbau nach der Corona-Krise gedämpft. Fortschritte seien vor Juni oder Juli wohl nicht zu erwarten. Das würde bedeuten, dass der EU-Gipfel am 23. April lediglich eine Etappe auf dem langen und beschwerlichen Weg zum Ziel wäre.
Der Papst betet für die „brüderliche Einheit“ Europas
Wie dramatisch die Lage der EU vor dem Gipfel ist, zeigt ein öffentlicher Appell von ehemaligen SPD-Spitzenpolitikern, darunter der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder. Sie warnen inzwischen vor einem „Zerfall Europas“. Sie fordern die Bundesregierung in der Corona-Krise zu größerer Solidarität gegenüber anderen EU-Staaten auf. „Deutschland hat politisch und wirtschaftlich unglaublich durch die Einigung Europas gewonnen. Es muss jetzt vor allem seinen Beitrag zur Überwindung dieser schweren Krise leisten“.
In Rom betete Papst Franziskus am Mittwoch für die Einheit Europas. „Lasst uns heute für Europa beten, damit es jene brüderliche Einheit erreicht, von der die Gründerväter der Europäischen Union geträumt haben“, sagte der Papst in seiner Frühmesse, die per Livestream aus dem Vatikan übertragen wurde. Dabei appellierte er an die Staats- und Regierungschefs der EU, angesichts „dieser tragischen Pandemie“ ihre Differenzen beizulegen. Ob seine Worte erhört werden, wird der EU-Gipfel zeigen.