EU-Gipfel: SPD begrüßt Asyl-Beschlüsse
Die Marathonsitzung dauerte gut acht Stunden. Doch am frühen Morgen des 29. Juni 2018 – genau um 4 Uhr 34 – verkündet Ratspräsident Donald Tusk per Twitter die Übereinkunft. Alle 28 europäischen Regierungschefs (inklusive Theresa May) haben sich geeinigt und unterschreiben die Gipfelschlussfolgerungen zur europäischen Asylpolitik. Damit gibt es die von Angela Merkel und Emmanuel Macron angestrebte europäische Lösung.
Ein zähes Ringen
Im Kern allerdings bedeutet diese europäische Lösung eine deutliche Verschärfung des europäischen Asylrechts:
- In Nordafrika sollen Ausschiffungsplattformen errichtet werden; auf dem Mittelmeer aus Seenot gerettete Flüchtlinge sollen zunächst dorthin gebracht werden, damit dort ihre Anträge unter UNHCR-Regime geprüft werden. Danach werden Asylberechtigte jenen Staaten Europas zugeteilt, die freiwillig Flüchtlinge aufnehmen. Zudem sollen die Richtlinien für private Rettungsschiffe klarer gefasst werden. Insgesamt soll Schleppern so das Handwerk gelegt werden.
- In Europa, genauer in Italien und Griechenland, können und sollen ebenfalls „geschlossene Aufnahmelager” entstehen. Erst nachdem ein Antrag beschieden ist, werden die Antragsteller von dort auf wiederum freiwillig mitmachende europäische Länder verteilt. Die Lager sollen finanziell als europäische Gemeinschaftsaufgabe gelten.
- Die Grenzschutzagentur Frontex soll bis 2020 schnell und deutlich aufgestockt werden. Ziel: die Außengrenzen der EU besser zu schützen und weniger Menschen nach Europa hereinzulassen.
- Schließlich erhält die Türkei die zweite 3 Milliarden-Tranche für die Betreuung syrischer Flüchtlinge.
Um acht Uhr abends begann das Arbeitsessen zum Thema Migration und Asyl, nachmittags hatte Angela Merkel Italiens bereits neuen Ministerpräsidenten Guiseppe Conte zum Vier-Augen-Gespräch getroffen – und diesen damit ziemlich überrascht. Achteinhalb Stunden später gelang es dann in den frühen Morgenstunden, die unterschiedlichen Positionen zusammenzubinden. Es war ein ausgesprochen zähes Ringen. Conte drohte zwischenzeitlich mit dem Boykott aller Beschlüsse, auch der unstrittigen, wenn nicht sein 10-Punkte-Plan umgesetzt würde. Er bekam die Zusage, die Grenzen besser zu schützen und die Sammellager aus EU-Töpfen zu bezahlen. Sein Kommentar am Ende: „Italien ist nicht mehr allein”.
Gegen nationale Alleingänge
An anderen Stellen herrscht weniger Einigkeit. Nach Aussagen von Gipfel-Teilnehmern belasten die Visegrad-Staaten – Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn – das Wort Solidarität bis zur Schmerzgrenze. Sie wollen weiterhin keine Flüchtlinge aufnehmen, weil dies in ihren Augen ein deutsches und italienisches Problem ist. Die Folge: Sie bekamen die Option, sich den beschlossenen Maßnahmen freiwillig anzuschließen.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz beteuert: „Wir sind froh, dass es jetzt endlich einen Fokus auf die Außengrenzen und die Reduzierung von Migration gibt”. Doch Kurz, den Horst Seehofer zuvor als ideologischen Verbündeten betrachtete, machte auch klar, dass er Seehofers nationale Alleingänge strikt ablehnt. Denn ein deutscher Alleingang hätte in der Realität bedeutet, dass die Flüchtlinge entweder aus Deutschland nach Österreich zurückgeschickt würden oder schon dort keinen Einlass mehr fänden.
Abkommen mit Griechenland und Spanien
Emmanuel Macron darf sich als der große Vermittler fühlen. Der französische Präsident hatte in der Nacht in kleineren Runden mit den Mittelmeeranrainern die Idee der „geschlossenen Aufnahmelager” aufgebracht und damit die gemeinsame EU-Lösung vorbereitet.
Angela Merkel verbucht als Pluspunkt die Durchsetzung des internationalen Flüchtlingsrechts sowie ihr Beharren auf einer engen Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten. Und: Sie hat Punkt 11 der Gipfelerklärung. Dort steht zur sogenannten sekundären Migration, also dem Wechsel von Flüchtlingen aus dem einen in einen anderen EU-Staat: „Wir haben festgestellt, dass auch hier für Steuerung gesorgt werden muss.... Kein Asylbewerber hat das Recht, sich das Land innerhalb der EU auszusuchen, in dem es ein Asylverfahren gibt”. Ein weiterer Pluspunkt für Merkel: Am Rande des EU-Gipfels wurde mit Griechenland und Spanien eine politische Vereinbarung über die Rückführung von Migranten abgeschlossen. Das gab Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag via Twitter bekannt.
Nahles: „Lösung mit Europa“
Zuhause in Deutschland gibt es sozialdemokratische Unterstützung für die Gipfelbeschlüsse. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles begrüßte, „dass ein gemeinsames europäisches Vorgehen in der Migrationspolitik beschlossen wurde.“ Der SPD-Fraktion sei wichtig, „dass es eine Lösung mit Europa und nicht gegen Europa gibt. Nationale Alleingänge, die Europa spalten, lehnen wir ab.“ Auch Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel kann nationalen Alleingängen nichts abgewinnen. Über Horst Seehofer sagte er: „Es kann nicht sein, dass irgendeine bayerische Partei darüber entscheidet, was Europa zu tun hat. Sogar Herr Seehofer sollte das verstehen können”.
Die versammelten 28 europäischen Regierungschefs haben es geschafft, in einer sehr komplizierten Lage zu Gemeinsamkeit zu finden. Die konkrete Ausgestaltung dieser – und auch da sind sich alle 28 einig – ist dann Sache ihrer „leitenden Angestellten”, also der Seehofers dieser Welt.