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EU-Ausländer bleiben in Deutschland drei Monate ohne Hartz IV

Einreisende EU-Bürger dürfen ein Vierteljahr lang von Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen werden – ohne Einzelfallprüfung. Dies sichere „das finanzielle Gleichgewicht“ der Sozialsysteme in der EU, so der Europäische Gerichtshof.
von Christian Rath · 25. Februar 2016
Der Europäischer Gerichtshof in Luxemburg: Sein Urteil über XXX
Der Europäischer Gerichtshof in Luxemburg: Sein Urteil über XXX

Die Bundesrepublik darf EU-Bürgern in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland generell Hartz IV-Leistungen und Sozialhilfe verweigern. Das hat jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden. Die deutsche Gesetzeslage verstoße nicht gegen EU-Recht.

Kein Hartz IV für spanischen Familienvater

Konkret ging es um den Fall der spanischen Familie Garcia-Nieto, die 2012 nach Recklinghausen zog. Zuerst kam im April die Mutter und eine Tochter. Als die Mutter im Juni Arbeit als Küchenhilfe gefunden hatte, zog der Vater mit einem Sohn nach. Der Vater beantragte Grundsicherung zur Arbeitssuche (Hartz IV), doch das Jobcenter Recklinghausen lehnte dies ab. Es berief sich auf eine Ausschlussklausel im deutschen Sozialgesetzbuch II, wonach Ausländerinnen "für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts" keinen Anspruch auf Hartz IV haben (§ 7 Abs. 1). Der Mann klagte und erhielt beim Sozialgericht Gelsenkirchen zunächst Recht. In zweiter Instanz fragte das NRW-Landessozialgericht den EuGH, ob die deutsche Ausschlussklausel mit EU-Recht vereinbar ist.

Der EuGH hatte nun keine Einwände gegen den deutschen Leistungsausschluss. Zwar seien EU-Bürger im Sozialrecht grundsätzlich gleichzubehandeln. Doch schon die Unionsbürger-Richtlinie der EU von 2004 sehe ausdrückliche Ausnahmen vor. So ist ein EU-Staat nicht verpflichtet, EU-Bürgern "während den ersten drei Monaten des Aufenthalts" Sozialhilfe zu gewähren (Art. 24 Abs. 2). Auch Hartz IV sei eine Form von "Sozialhilfe".

Die Kehrseite der Freizügigkeit

Dieser Ausschluss sei die Kehrseite der von der EU gewährten Freizügigkeit. Danach kann sich jeder EU-Bürger drei Monate lang in einem anderen EU-Staat aufhalten, ohne irgendwelche Formalitäten erledigen zu müssen. Der gleichzeitige Ausschluss von Sozialleistungen sichere das "finanzielle Gleichgewicht" der Sozialsysteme. Eine Einzelfallprüfung sei nicht erforderlich, so der EuGH.

Das Urteil kommt nicht überraschend. Schon im September 2015 hat der EuGH entschieden, dass eine ähnliche Ausschlussklausel für arbeitssuchende EU-Bürger nicht gegen EU-Recht verstößt (Fall Alimanovic). Und im November 2014 hatte der EuGH im Fall einer arbeitslosen Rumänin, die keine Arbeit suchte, die Verweigerung von Hartz IV akzeptiert (Fall Dano).

Bundessozialgericht entschied 2015 anders

Überraschend kamen dagegen Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) im Dezember 2015. Das BSG sprach allen EU-Bürgern, die aufgrund der Leistungsausschlüsse kein Hartz IV bekommen, stattdessen Sozialhilfe zu. Voraussetzung sei nur eine Verfestigung des Aufenthalts in Deutschland, die nach sechs Monaten eintrete. Die Kommunen protestierten, da die Sozialhilfe (anders als Hartz IV) aus ihren Haushalten bezahlt werden muss.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) kündigte deshalb an, dass sie die Kommunen davor bewahren will, für mittellose EU-Ausländer zu zahlen. Ein Gesetzentwurf liegt aber noch nicht vor. Das Ministerium arbeite "mit Hochdruck" und der "gebotenen Gründlichkeit" daran, sagte eine Ministeriumssprecherin.

Ohne Arbeit auch Ausweisung möglich

Inzwischen hat das BSG klargestellt, dass die Ausländerbehörden EU-Ausländer, die keine Arbeit finden, auch ausweisen können. Nur bei "Vollzugsdefiziten im Ausländerrecht" verfestige sich der Aufenthalt und entstehe ein Anspruch auf Sozialhilfe.

 

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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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