Es lohnt sich, an die polnische Gesellschaft zu glauben
Grundsätzlich ist es niemals ratsam, sich von seinen Gefühlen hinreißen zu lassen und aus einem Impuls heraus Urteile zu fällen. Nicht nur deswegen, weil dies all dem schaden kann, was jahrzehntelang mühsam aufgebaut wurde – wie beispielsweise die deutsch-polnische Versöhnung, Verständigung, Freundschaft, ein Werk der Generationen von Polen und Deutschen. Das Auffahren schwerer Geschütze bleibt nicht ohne Einfluss auf die deutsch-polnischen Beziehungen – zwischen den Gesellschaften, die oft nicht viel voneinander wissen.
Und obgleich man sich vielleicht keine Sorgen um die weiterhin gute Zusammenarbeit zwischen zahlreichen Institutionen und NGOs trotz der Veränderungen auf der polnischen politischen Bühne machen muss, ist der Einfluss der Medien auf die deutsche Gesellschaft und die Vertiefung der Vorurteile der Otto-Normalverbraucher äußerst bedenklich.
Die polnische Regierung wurde demokratisch gewählt
Die neue polnische Regierung wurde in demokratischen, freien und fairen Wahlen gewählt und das muss man respektieren. Sie startete die Zusammenarbeit mit Deutschland zwar nicht von Null, was verständlich ist, bedenkt man die Jahre der PiS-Regierung zwischen 2005 und 2007, aber sie hatte noch keine Gelegenheit Akzente in der Innen- und Außenpolitik zu setzen, trotzdem geriet sie bereits kurz nach der Wahl in den Mittelpunkt scharfer deutscher Kritik. Ihr weiteres Handeln gäbe hingegen schon eher Gründe für kritische Reaktionen, obwohl die Schärfe der Angriffe, auch seitens deutscher Politiker, negativ überraschte.
Es lohnt sich, an die polnische Gesellschaft zu glauben. An das Bewusstsein, die Entschlossenheit und die Vernunft der Polen. Die Polen sind ein erfahrenes Volk, das Freiheit und Unabhängigkeit ganz besonders zu schätzen weiß. Es reicht aus, sich in die Geschichte Polens zu vertiefen – eines Landes, das 123 Jahre lang unter drei europäischen Mächten aufgeteilt wurde – Preußen, Österreich und Russland. Unter den Teilungen wurde die polnische Kultur und Sprache von den Besatzern verbannt und trotzdem konnte der polnische Widerstandswille nicht ausgelöscht werden.
Der Widerstandsgeist der polnischen Seele
Zahlreiche blutige Aufstände, oft im Voraus bereits zur Niederlage verurteilt, zeigten, dass die Polen sogar in hoffnungslosen Situation nicht aufgeben und um ihre Freiheit kämpfen. Nirgendwo anders als in Polen entstand während der deutschen Besatzung im 2. Weltkrieg trotz des alltäglichen Terrors, den Erschießungen und den Straßenrazzien die am besten organisierte, größte und leistungsfähigste Untergrundorganisation im gesamten besetzten Europa.
Natürlich, das alles ist schon längst vergangene Geschichte. Aber in der polnischen Seele existiert noch immer dieser Widerstandsgeist, wenn es um die Begrenzung bürgerlicher Freiheiten und Rechte geht. Deshalb lohnt es sich, an die Möglichkeiten der Polen und der sozialen Bewegungen zu glauben. Ein Beweis dafür ist die unblutige Revolution der Gewerkschaft „Solidarność” in Polen, die den Startschuss zur Niederwerfung des Kommunismus im Lande und in ganz Europa gab.
Die polnische Gesellschaft ist tief gespalten
Die derzeit in mehreren Städten Polens regelmäßig stattfindenden Demonstrationen von mehreren Tausend Polen (organisiert von einem neu entstandenen Komitee zur Verteidigung der Demokratie) gegen die Politik der PiS-Regierung, zeigen, dass auch heutzutage weitreichende Veränderungen nicht ohne Kritik hingenommen und genauestens beobachtet werden. Dass die Demonstrationen nicht nur dem jetzigen Moment geschuldet, sondern bereits Beleg einer echten zivilgesellschaftlichen Bewegung wären, das wiederum wäre jedoch zu viel gesagt.
Die polnische Gesellschaft ist tief gespalten, denn gleichsam zahlreich sind auch die Demonstrationen der PiS- und Präsident-Duda-Anhänger. Es ist aber bemerkenswert, dass an den Demonstrationen „dagegen” viele Menschen teilnehmen, die normalerweise nicht demonstrieren: die sonst nur wenig gesellschaftlich engagierten Bürger. Es muss also offenbar bereits viel passiert sein, damit sie ihre alltäglichen Probleme und Sorgen um Arbeit und Kreditrückzahlungen kurz beiseite schieben und auf die Straßen gehen. Es beginnt in diesem Land etwas zu passieren. In dem Land, in dem verglichen mit Deutschland sonst keine zahlenmäßig großen Demonstrationen stattfinden.
Wenn nötig, werden die Polen ihre Rechte einfordern
Es müsste noch Zeit vergehen und noch einiges passieren, damit aus dieser Bewegung etwas mehr entsteht. Wie sie sich weiter entwickeln wird, hängt maßgeblich von der weiteren Politik der PiS-Regierung ab. Es braucht Zeit, aber wenn es nötig sein wird, werden die Polen beginnen laut ihre Rechte einzufordern.
Die Umwälzungen in den öffentlichen Medien nach Inkrafttreten des neuen Mediengesetzes werden das nicht ändern. Schon lange vor der neuen Regierung waren die Medien in Polen politisch, die PiS zog lediglich die Zügel etwas fester an. Und der nachdenkende Bürger wird künftig einfach die Fernbedienung in die Hand nehmen oder den Computer anschalten, um nach alternativen Nachrichten zu suchen. Wir haben das bereits durchgemacht.
Vertraut dem polnischen Volk!
Man sollte nicht glauben, dass man den Polen sagen müsse, was gut ist und was schlecht. In Polen findet eine lebendige, scharfe Debatte über die eingeführten Änderungen (hauptsächlich in dem Gesetz zum Verfassungsgericht und zu den öffentlichen Medien) statt. Man braucht die Polen nicht zu belehren. Ganz im Gegenteil: Man sollte auf die Urteilskraft polnischer Experten und Wissenschaftler vertrauen.
Ein menschlicher Charakterzug ist es trotzig zu sein – auf die Polen trifft dies ganz besonders zu. Trotzig insbesondere gegenüber denen, die den Polen mal arg zusetzten und sich heute in ihren Augen wichtig tun. Auch daher rührt die scharfe polnische Reaktion auf die übertriebene Kritik prominenter deutscher Politiker. Die Europäische Union verfügt über politische Werkzeuge, die sie in jedem beliebigen Moment bedienen kann. Besser ist es aber institutionell zu handeln, statt die deutsch-polnischen Beziehungen zu gefährden.
Aber man sollte stets im Hinterkopf behalten, dass es äußerst bedauerlich wäre, dieses große Kapital zu verlieren – das Kapital des Europaoptimismus der polnischen Gesellschaft. Insbesondere in Zeiten der ständigen Herausforderungen und Krisen, vor denen die Gemeinschaft steht.
ist Germanistin, promovierte Geisteswissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Polen.