Erdoğans zweifelhafter Sieg
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Recep Tayyip Erdoğan hat erneut die Wahlen in der Türkei gewonnen. Laut Wahlbeobachtern gab es Wahlmanipulationen bis hin zu Gewaltandrohungen, gerade in kurdischen Regionen im Südosten des Landes. Diese Feststellung wird aber – so deprimierend es auch ist – an dem Ergebnis kaum etwas ändern, da es der Opposition angesichts der Machtfülle des Präsidenten kaum gelingen kann, die Unregelmäßigkeiten zu beweisen.
Nach den offiziellen amtlichen Ergebnissen wurde Erdoğan im ersten Wahlgang mit rund 53 Prozent, also mit absoluter Mehrheit, wieder zum Präsidenten gewählt. Der rhetorisch begabte Muharrem Ince, der Kandidat der größten Oppositionspartei, der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, konnte ihn letztlich nicht in die Stichwahl zwingen.
Bei den Parlamentswahlen hat Erdoğans konservativ-islamistische AKP zwar die absolute Mehrheit verloren, doch der unerwartete Zuwachs für die nationalistische-ultrarechte MHP sichert dem Autokraten Erdoğan die Mehrheit im Parlament, wenn diese mit der AKP koaliert – wovon auszugehen ist. Dass der kurdischen HDP mit 11,1 Prozent der Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde tatsächlich gelungen ist, verschafft einem Bündnis der Oppositionsparteien unter diesen Bedingungen trotzdem keine Parlamentsmehrheit – zumal die SPD-Schwesterpartei CHP mit 22,7 Prozent ihr Ergebnis von 2015 nicht verbessert hat.
Bedenkt man aber die Bedingungen, unter denen die Opposition Wahlkampf machen musste, hat sie einen beachtlichen Erfolg erzielt. Denn Erdoğan hat frühzeitig und gerade nach dem Putschversuch von 2016 dafür gesorgt, dass mögliche politische Gegner bedroht und verfolgt werden oder im Gefängnis landen. Kritische Medien und Journalisten wurden mundtot gemacht. Der Ausnahmezustand dauert an. So war dieser Wahlkampf einer mit sehr ungleichen Mitteln: Erdoğans AKP beherrscht fast alle Fernsehsender. Die Printmedien, die noch erscheinen, sind auf Regierungskurs getrimmt. Die SPD-Schwesterpartei CHP und andere Oppositionsparteien kamen in den Medien kaum vor und konnten sich nur auf öffentliche Kundgebungen und die sozialen Medien stützen. Der Präsidentschaftskandidat der kurdischen HDP, Selahattin Demirtaş, musste seinen Wahlkampf gar aus dem Gefängnis heraus führen, weil Erdoğans den Parlamentarier und politischen Gegner im November 2016 hatte verhaften lassen.
Der Wahlerfolg der AKP geht aber auch auf die Stimmen einer konservativen Mittelklasse zurück, der es heute materiell viel besser geht als vor Erdoğans Herrschaft und die dafür politische Einschränkungen offenbar bereitwillig in Kauf nimmt. Wie lange der ökonomische Erfolgskurs der Türkei noch funktioniert, ist allerdings fraglich. Ökonomen sehen Anzeichen dafür, dass der Türkei eine wirtschaftlich harte Landung bevorstehen könnte.
Klar ist aber schon jetzt: Die Türkei entfernt sich unter Erdoğan immer weiter von einer funktionierenden Demokratie. Mit dieser Wahl erst recht: Denn der alte und neue Präsident hat dem Land eine Präsidialverfassung aufgedrückt, die ihn mit einer bisher nie gekannten Machtfülle ausstattet und ihn künftig auch ohne Notstandsgesetzgebung schalten und walten lässt, wie er will.
Wieso aber angesichts dessen gerade bei den Deutschtürken, die mit Abstand größten Gruppe der wahlberechtigten Auslandstürken, Erdoğan mit mehr als 60 Prozent noch weiter vorne liegt als in der Türkei selbst, sollte uns zu denken geben.
ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.