International

Eine mutige europäische Agenda

Die EU-Kommission legt ihre Vorschläge für eine Reform der Flüchtlingspolitik vor und scheut auch den Konflikt mit dem britischen Premier David Cameron nicht.
von Peter Riesbeck · 13. Mai 2015
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EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker schickte seinen besten Mann, den niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans, sein erster Stellvertreter. Flankiert war Timmermans von der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und dem Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Die italienische Sozialdemokratin und ehemalige Außenministerin ihres Landes trug im Wesentlichen Entwicklungskonzepte vor. Der Konservative Avramopoulos, einst griechischer Verteidigungsminister, beschränkte sich auf die Erfassung von Fingerabdrücken von Flüchtlingen. Das zeigt das ganze Problem der EU-Flüchtlingspolitik. Sie schwankt zwischen Politik und Sicherheitsinteressen. Timmermans hat sich bei der Vorlage der neuen EU-Flüchtlingsagenda am Mittwoch in Brüssel auf den politischen Ansatz gestützt. „Wir müssen die humanitäre Katastrophe auf dem Mittelmeer beenden“, kündigte er an.

Das wollten nach dem jüngsten Bootsunfall auf dem Mittelmeer auch die EU-Staats- und Regierungschefs. Doch ihr Gipfelbeschluss war ein windiges Papier. Die EU-Kommission hat darauf mutig reagiert und jetzt ihre eigenen Vorschläge unterbreitet. Das ist ein kleiner Affront aus Brüssel an die Bremser in den Mitgliedstaaten.

Im Notfall soll eine Quote greifen

Im Zentrum steht die Einführung eines Quotensystem. Es soll regeln wie die Flüchtlinge künftig zwischen den EU-Staaten verteilt werden, die Basis bilden Wirtschaftskraft, Einwohnerzahl und die Anzahl der bereits aufgenommen Flüchtlinge. Aus rechtlichen Gründen soll die Quote nur in Notfallsituationen greifen. Doch herrscht an Europas Küsten im Mittelmeer ein dauerhafter Ausnahmezustand. Timmermans hat darauf reagiert. Der Widerstand ist ihm gewiss.

Der ungarische Rechtspopulist Viktor Orban lehnt Quoten ebenso ab, wie der britische Regierungschef David Cameron. Nur keine Solidarität wagen. So wird die Diskussion um die künftige Asyl- und Flüchtlingsagenda zum Test. Der britische Premier wünscht Vertragsänderungen und er lässt im kommenden Jahr über Großbritanniens Zukunft in der EU abstimmen. Juncker und sein Vizepräsident Timmermans zeigen: Es gibt für Europa Grenzen. „Das eigentliche Problem sind die Mitgliedstaaten“, sagte die SPD-Europaparlamentarierin Birgit Sippel. Dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban und der britische Premierminister David Cameron schon im Vorfeld gegen die neue Agenda polemisiert hätten, sei angesichts des Massensterbens im Mittelmeer „geradezu zynisch“, erklärte sie.

Kommt das Ende von Dublin II ?

Langfristig wünscht die Kommission eine Abschaffung des Dublin-II-Regimes. Die Regel aus dem Jahr 2002 besagt, dass ein Flüchtling seinen Asylantrag in dem Land stellen muss, in dem er die Europäische Union erreicht. Italien und Griechenland haben das System aber längst verlassen, sie lassen Flüchtlinge ungehindert in den Norden reisen. Von den 626.000 Asylanträgen in der EU im Vorjahr ist ein Drittel in Deutschland gestellt worden, zwölf Prozent in Schweden. Solidarität sieht anders aus. Der Nationalstaat hat bei der Bewältigung der Flüchtlingsprobleme längst versagt, das zeigt das Scheitern des Dublin-Regimes. Flüchtlingspolitik geht alle an, sie ist eine europäische Aufgabe.

Die EU-Kommission schlägt auch vor, künftig 20.000 Flüchtlinge, etwa aus Syrien, legal in die EU einreisen zu lassen. Das klingt sehr zurückhaltend. Allein das Bürgerkriegsland Syrien haben 3,9 Millionen Menschen verlassen. Aber es ist ein Anfang für eine legale Zuwanderung, welche die EU-Kommission ermöglichen will. „Bislang gibt es dafür nur die Bluecard, sie ist auf Akademiker beschränkt“, kritisierte die SPD-Abgeordnete Sippel. Migration darf nicht vom Bildungsgrad abhängen. Und schon gar nicht das Recht auf Asyl. Asyl ist ein Menschenrecht.

Umstrittenes Vorgehen von Marine und Polizei

In manchen Punkten aber kommt Junckers Kommission den zaudernden Mitgliedstaaten entgegen, etwa in der Bekämpfung von Menschenschmugglern. Hier wünschte vor allem Cameron ein militärisches Vorgehen und sagte umgehend die „HMS Bulwark“, das Flagschiff der Royal Navy zu. Zwar sollen die Schleuserboote nicht mehr zerstört werden, das Kommissionspapier spricht davon, das Geschäftsmodell der Schlepper zu „durchbrechen“. Aber die Marine bringt’s nicht im Kampf gegen Kriminelle, das ist Aufgabe der Polizei. Auch die UN ist zurückhaltend, sie zögert mit einem möglichen UN-Mandat. Zu recht.

Auch in einem anderen Punkt beschränkt sich die EU-Kommission. Die Rettungseinsätze im Mittelmeer (Triton und Poseidon) erhalten zwar mehr Geld, aber nicht mehr Befugnisse. Es bleibt beim Retten innerhalb der Hoheitszone von 30 Seemeilen, das italienische Programm „Mare Nostrum“ wollte mehr, wurde aber von der EU hintertrieben. Mit dem milden Wetter im Sommer werden also auch die Flüchtlinge übers Mittelmeer kommen. Europa wird ihnen bei der Überfahrt zuschauen. Bis zur nächsten Katastrophe. Wie stellte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zutreffen fest: „Es geht um Europas Glaubwürdigkeit.“ Eben deshalb ist die eingeleitete Wende in der Flüchtlingspolitik so wichtig.

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Peter Riesbeck

ist Europa-Korrespondent. Bereits seit 2012 berichtet er aus Brüssel für die „Berliner Zeitung“ und die „Frankfurter Rundschau“.

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