International

Diplomatisches Dilemma

von Jörg Hafkemeyer · 6. März 2014

Bundesaußenminister Steinmeier will Russland zu Verhandlungen mit der ukrainischen Regierung bewegen. Er weiß: Sanktionsdrohungen könnten dabei zum Bumerang werden. Die deutsche Wirtschaft ist zu abhängig von Russland. Umso mehr sind nun Steinmeiers Fähigkeiten als Brückenbauer gefragt. 

Es geht um sehr viel mehr als um die Lösung der Krim-Krise. Es geht der deutschen Außenpolitik darum, die Spaltung Europas zu verhindern. Der deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier hält wie kein anderer europäischer Chefdiplomat die Gesprächskanäle nach Moskau offen: „25 Jahre nach dem Ende der Blockkonfrontation ist die Gefahr einer erneuten Spaltung Europas real.“ Und Gernot Erler, der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, sagte vorwärts.de: „Wir haben eine handfest Krise, in der Vertrauen wichtig ist.“ Denn gerade Vertrauen gebe es nach Erlers Worten derzeit zwischen den Akteuren nur sehr spärlich. Beide Politiker haben gute und intensive, über lange Zeit aufgebaute Kontakte nach Russland. „Ohne Kontaktaufnahmen, die auf positiven Erfahrungen beruhen, kommen wir aus der jetzigen Krise nicht heraus, wird es keinen Fortschritt geben“, erklärte Erler.

So gehen auch heute, am Tag des EU-Gipfels in Brüssel, die Gespräche der Außenminister weiter. Zum Beispiel trifft am Rand der Libyen-Konferenz John Kerry auf  Sergej Lawrow. Der deutsche Außenminister weiß, dass „wir noch weit von einer Lösung entfernt sind“.

Es geht bei seinen Bemühungen vor allem darum, die russische Regierung dazu zu bewegen, mit der ukrainischen Übergangsregierung zu sprechen. Die aber hält Moskau für illegitim. Der deutsche Außenminister hat sich in den letzten Tagen öffentlich an beide Seiten gewandt: Die militärischen Aktivitäten auf der Krim seien völlig inakzeptabel. Und die ukrainische Regierung müsse die Minderheitenrechte garantieren.

Erler warnt vor Sanktionen durch Russland

Es scheint sich bei den bisherigen Gesprächen zwischen Russen und Deutschen eines herausgestellt zu haben. Gernot Erler beschreibt das so: „Deutschland will keine Eskalation. Russland will keine weitere Eskalation.“ Der deutsche Außenminister und sein Ost-Beauftragter sehen die Verhängung von Sanktionen gegen Russland kritisch. Gernot Erler: „Auch Russland ist zu Sanktionen in der Lage.“  Immerhin haben allein 6200 deutsche Firmen 20 Milliarden Euro in Russland investiert, wobei die Gasgeschäfte zwischen beiden Ländern nicht mitgerechnet sind.

Gernot Erler spricht in diesem Zusammenhang von einer wechselseitigen Abhängigkeit. Deutschlands Ölversorgung sei zu  40 Prozent und die Gasversorgung zu 30 Prozent von russischen Lieferungen abhängig. Der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel ist parallel zum EU-Gipfel in Brüssel und zu den diplomatischen Bemühungen des Außenministers zu politischen Gesprächen in Moskau eingetroffen. Es ist gar nicht vorstellbar, dass die Krise in der Ukraine kein Thema ist. „Wir brauchen die Kontaktgruppe. Wir müssen den Konflikt beherrschbar halten,“ sagte Gabriel. Er ist der erste deutsche Regierungsvertreter, der seit dem Ausbruch der Krise in der Ukraine und auf der Krim die russische Hauptstadt besucht. „Deutschland hat in Europa die intensivsten Beziehungen zu Russland, sowohl politisch als auch wirtschaftlich,“ erklärt Gernot Erler: „Deutschland hat immer wieder die Brücken gebaut.“

Steinmeier und Lawrow respektieren sich

Frank-Walter Steinmeier versucht also, vor allem mit Sergej Lawrow in diesen anstrengenden Tagen eine tragfähige Konstruktion für eine neue Brücke zu finden, über die  Russen wie Ukrainer unfallfrei und friedlich gehen können. Beide Männer kennen sich zehn Jahre, reden sich mit Vornamen an, hatten auch schon mal deutliche Meinungsverschiedenheiten, aber respektieren sich. Steinmeier geht dabei von den Gegebenheiten aus, wie sie sind und erhält so seine und Deutschlands Mittlerrolle aufrecht. Darüber freuen sich bei der EU wie bei der NATO nicht alle. Vor allem Steinmeiers Kollegen aus Polen und den baltischen Staaten nicht. „Wir brauchen direkte Kontakte zwischen der Ukraine und Russland,“ sagte der deutsche Außenminister dazu und hofft, die hinzukriegen.

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Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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