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Die vermeidbare Katastrophe

von Jérôme Cholet · 26. Juli 2011
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Die Familie, der Glaube an Allah und manchmal ein wenig Geld - mehr bleibt den meisten Somaliern nicht, die es in eines der vier äthiopischen Auffanglager oder aber das größte kenianische Flüchtlingsdorf Dadaab geschafft haben. Erschöpft und entkräftet, die Haut an den Knochen klebend, sind sie vor Bürgerkrieg und Hungertod in die stabilen Nachbarländer geflohen.

Zehn Millionen Menschen sind laut Vereinten Nationen am Horn von Afrika vom Hungertod bedroht. Wenn jetzt nicht massiv geholfen wird, so die Warnungen, werden mehr Menschen sterben als Mitte der 1980er Jahre. Damals forderte eine Dürre in Äthiopien etwa eine Million Leben, die Zahlen könnten sich 2011 verdreifachen. "Akut geht es um humanitäre Soforthilfe, um die Bereitstellung von Lebensmitteln, Wasser und Notunterkünften," sagt Sascha Raabe, entwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Klimawandel trifft Afrika besonders hart
Die Vereinten Nationen sprechen von der schlimmsten humanitären Katastrophe seit Jahrzehnten. Dabei war der Hunger abzusehen. Der Klimawandel betrifft Ostafrika ganz besonders, zwei Regenzeiten brachten nur äußerst wenig Niederschlag. Erst starben die Pflanzen, dann das Vieh - jetzt die Menschen. Und gleichzeitig schnellen die Preise für Nahrungsmittel, allen voran Getreide, weltweit in die Höhe.

Ein Viertel der somalischen Bevölkerung ist auf der Flucht, von der Dürre betroffen sind darüber hinaus Äthiopien, Eritrea, Kenia und Uganda. In den beiden südlichen Regionen Somalias, Bakool und Lower Shabelle, wurde offiziell eine Hungersnot ausgerufen. Die Unterernährung von Kindern und Erwachsen betrifft etwa 20 bis 40 Prozent der Bevölkerung, etwa sieben von 10.000 Menschen sterben täglich. Das ist Rekord, trauriger Rekord.

Somalia ist in vier Teile zerbrochen
Gleichzeitig ist Somalia ein gescheiterter Staat, das Land in vier Teile ohne zentrale Regierung zerbrochen. In der Hauptstadt Mogadischu kämpft eine Übergangsregierung ums eigene Überleben, der vom Hunger besonders betroffene Süden des Landes wird von islamistischen al-Shabaab Milizen kontrolliert, die mit dem Westen und vor allem Äthiopien verfeindet sind. Vor zwei Jahren hatten sie alle Hilfsorganisationen des Landes verwiesen und können sich noch immer nicht durchringen, Hilfe von außen anzunehmen.

In den anderen von der Hungersnot betroffenen Staaten der Region herrscht Uneinigkeit. Schnelle Katastrophenhilfe wird damit unmöglich. In Äthiopien kann Präsident Meles Zenawi zwar nicht einmal seine eigene Bevölkerung ernähren, in Somalia unterhält er jedoch eine Friedensmission - die die Feindschaft zu den al-Shabaab noch vertieft.

Eritrea lehnt alle Hilfe ab
Amtskollege Isaias Afwerki aus Eritrea leugnet die Katastrophe sogar. Der autoritäre Präsident lehnt alle Entwicklungs- und Nothilfe ab, obwohl mit schätzungsweise 5,3 Millionen Eritreern etwa die Hälfte seiner Bevölkerung von Nahrungslieferungen abhängig ist.

Weder in Kenia noch in Uganda wurden umfassende Präventionsmaßnahmen getroffen. Vorratssysteme und eine ausreichende Logistik, um die Lebensmittel frühzeitig an die leidende Bevölkerung zu verteilen, wurden nicht aufgebaut. "Eigentlich müssten die Bauern befähigt werden, ihre vertrockneten Felder instandzusetzen, mit Bewässerungskanälen, Latrinen, Wassertanks," sagt Ralf Südhoff vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen in Deutschland. Aber darin versagten die Regierungen in den eigentlich sehr fruchtbaren Ländern. Eritrea isoliert sich lieber, in Äthiopien versickert die Entwicklungshilfe in dunklen Kanälen und in Somalia gibt es ohnehin keinen Staat mehr.

Zurückhaltung bei den Geberländern

Zudem zierten sich die Geberstaaten. "Spender sind nur ungern bereit auf Warnung hin Geld bereitzustellen," sagt Ralf Südhoff, "eine so schleichende Katastrophe wie jetzt am Horn von Afrika ist nicht so beeindruckend, nicht so spektakulär und liefert nicht solche Bilder - und dementsprechend wenig Geld."

Die Vereinten Nationen schätzen den Bedarf an Hilfe auf etwa 1,1 Milliarden Euro. Die Bundesregierung hat bislang 5 Millionen Euro zugesagt. "Insbesondere in Somalia, Äthiopien und im Norden Kenias, wo sich das größte Flüchtlingslager der Welt befindet, benötigen die Hilfsorganisationen jetzt dringend weitere Mittel," sagt Sascha Raabe, entwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. DiesenMontag kommt die Welternährungsorganisation daher zu einem Notgipfel zusammen.

Unterdessen werden wieder Tausende Somalier auf dem Weg in die Nachbarstaaten umgekommen sein. In Bakool häufen sich die Gräber am Straßenrand. Kleine Gräber, vor allem Kinder sind betroffen.



Autor*in
Jérôme Cholet

arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.

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