vorwärts.de: Herr Dr. Landsberg, welche Nachrichten erhalten Sie derzeit von deutschen Kommunen in Bezug auf die Finanzlage?
Gerd Landsberg: In vielen Städten und Gemeinden ist die finanzielle Not mit Händen zu greifen. Ich bekomme sehr viele Briefe von Bürgermeistern, die eine dramatische Finanzlage
schildern. Insgesamt rechne ich mit einem Finanzierungsdefizit der Kommunen von zwölf Milliarden Euro.
Wo liegen die Hauptprobleme?
Wir verzeichnen ein dramatisches Wegbrechen der Gewerbesteuer, im Schnitt um 17 bis 18 Prozent, in einigen Kommunen um bis zu 60 Prozent. Die haben kaum eine Möglichkeit, einen
ausgeglichenen Haushalt aufzustellen.
Wer ist besonders betroffen?
Vor allem Städte und Gemeinden, in denen Betriebe der Autoindustrie und Autozulieferer angesiedelt sind, also klassische Industrieregionen, vor allem im Südwesten.
Wie reagieren die Städte auf die sinkenden Einnahmen?
Es gibt lange Gift- und Sparlisten. Die freiwilligen Leistungen im Haushaltsetat, wie etwa Kulturbudgets, werden gekürzt, die Grundsteuer und Kita-Beiträge erhöht. In vielen Städten müssen
sie nur auf die Straße gucken und sehen anhand der Schlaglöcher, welche Etats zusammen gestrichen wurden.
Und reicht das denn?
Auf keinen Fall. Die freiwilligen Leistungen machen in der Regel zehn bis 20 Prozent eines kommunalen Haushaltes aus. Selbst wenn sie die komplett streichen würden, reicht es nicht, um den
Haushalt zu sanieren.
Gleichzeitig steigen die nicht freiwilligen Ausgaben.
Genau, die Sozialausgaben der Kommunen sind in den letzten zehn Jahren um etwa 50 Prozent gestiegen, von rund 26 auf fast 40 Milliarden Euro pro Jahr. Bis 2013 werden es voraussichtlich 45
Milliarden Euro sein.
Sie kritisieren, dass der Bund sich nicht ausreichend an den Kosten beteiligt.
Ein Beispiel: Obwohl die Kosten der Unterkunft für SGB-II-Empfänger deutlich angestiegen sind, will der Bund seine Beteiligung daran weiter absenken. Das ist gerade in einer Krisensituation
nicht akzeptabel.
Neben den Sozialausgaben sind die Personalkosten ein hoher Posten der Kommunen.
Sie haben einen Anteil von fast 25 Prozent an den Gesamtausgaben.
Kann da noch gespart werden?
Keine staatliche Ebene hat soviel Personal abgebaut wie die Kommunen. Weitere Einsparungen in dem Bereich kann man vergessen. Ein Minimum an Personal braucht man, um den Betrieb aufrecht zu
erhalten.
Und dass die Personalausgaben 2008 erstmals wieder gestiegen sind, lag nicht in der Hand der Kommunen: Die Länder haben Aufgaben auf sie übertragen und es gab erhöhte Tarifabschlüsse.
Allein der jetzt ausgehandelte Tarifabschluss führt in den Kommunen und ihren Unternehmen zu Mehrbelastungen von 2,4 Milliarden Euro.
Also ist die Wirtschaftskrise nicht die einzige Ursache für die Finanzprobleme?
Nein. Die Krise hat das Problem lediglich verschärft. Eigentlich haben wir ein Strukturproblem.
Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben geht grundsätzlich immer weiter auseinander. Das können die Städte und Gemeinden alleine nicht auffangen.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Hier sind Bund und Länder gemeinsam in der Pflicht. Die Kommunen müssen auf der Ausgabenseite entlastet werden; will man das nicht, dann brauchen wir eine deutliche Erhöhung unserer
Einnahmen.
Ich bedaure, dass in dieser Republik nur über die Verteilung gesprochen wird und nicht über Reformen.
Welche Bereiche haben Sie im Sinn?
Ich nenne das Beispiel Kinderbetreuung: Anders als in manchen Medien dargestellt, bin ich kein Gegner vom Ausbau der Betreuungsplätze. Aber es muss auch eine realistische Finanzierung
geben. Die Mittel, die der Bund zur Verfügung stellt, reichen bei weitem nicht aus. Eine von mir in Auftrag gegebene forsa-Umfrage hat ergeben, dass die Zielmarke von Kinderbetreuungsplätzen für
35 Prozent der unter 3-Jährigen an der Realität vorbeigeht; der tatsächliche Bedarf liegt nach dieser Umfrage bei rund 65 Prozent. Mit der letzten Kindergelderhöhung hätte man einen Großteil der
Betreuung finanzieren können.
Sie fordern einen Rettungsschirm für Kommunen, analog zum Rettungsschirm für die Banken. Wie soll das aussehen?
Zum einen braucht es kurzfristige Hilfen, dazu gehören eine deutliche Erhöhung der Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger und eine Kompensation der durch das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz bedingten Steuermindereinnahmen. Außerdem kurzfristige Überbrückungshilfen für mindestens zwei Jahre.
Und was sollte sich langfristig ändern?
Ich möchte manches hinterfragen, etwa warum die Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung eine kommunale Aufgabe sind, oder das Wohngeld. Nötig sind ein finanziell unterlegtes
Bekenntnis des Bundes, dass es sich bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt sowie ein dauerhaftes Konzept, dass die Finanzierung
der gesetzlichen Aufgaben der Kommunen ohne immer neue Schulden sichert.
0
Kommentare
Noch keine Kommentare