Die nationale Einheit als Opfer der Anschläge von Paris
Zehn Monate lang haben sich die Franzosen in Sicherheit gewiegt. Auch wenn die Regierung warnte, dass es kein „null Risiko“ gibt, gingen sie unbeschwert aus, feierten. Damit ist es seit Freitag vorbei. Eine Anschlagserie mit mindestens 132 Toten hat Frankreich ins Mark getroffen. So sehr, dass nun das ganze Koordinatensystem der Nation wackelt.
Nach den Attentaten im Januar auf die Satirezeitung „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt beschworen alle Parteien die Werte der Republik. Zumindest ein paar Tage hielt die nationale Einheit, die Präsident François Hollande ausgerufen hatte. Diesmal war von Anfang an klar, dass die Opposition sich nicht an die Seite der Regierung stellen wird nach dem 13. November. „Die nationale Einheit, das andere Opfer der Anschläge“, schreibt das Nachrichtenmagazin „Express“.
Hollandes Aufgabe: Verhindern, dass Frankreich kippt
Dabei greift Hollande zu einer großen Geste, um den Schulterschluss zu schaffen: Im Schloss Versailles hat er für Montagnachmittag beide Parlamentskammern einberufen, um vor allen Abgeordneten zu sprechen. Auch der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz wird dabei sein.
„Ich werde mich an das Parlament richten, das sich zum Kongress in Versailles versammelt, um die Nation in dieser Bewährungsprobe zu einen“, sagte Hollande am Freitagabend, als die Geiselnahme von 1500 Zuhörern im Konzertsaal Bataclan noch nicht beendet war. Der Präsident hat nun die Aufgabe, eine Spaltung des Landes zu verhindern. „Es geht darum, das Land auf Kurs zu halten, zu verhindern, dass es kippt“, sagte ein Ministerberater der Zeitung „Le Monde“.
Sarkozy im Wettlauf mit Le Pen
Hollande versucht das mit einer Botschaft der Entschlossenheit. Noch am Freitagabend verhängte er den Ausnahmezustand und führte Grenzkontrollen ein. Der „état d'urgence“ erlaubt Durchsuchungen auch ohne Richterentscheidung. So fand die Polizei am Montag zahlreiche Waffen in mehreren Häusern in Lille, Marseille, Lyon und im Großraum Paris. 23 Verdächtige wurden festgenommen.
Dennoch droht Frankreich nun eine hitzige Debatte über die innere Sicherheit. Die Opposition machte drei Wochen vor den Regionalwahlen deutlich, dass sie nicht stillhalten wird. Nicolas Sarkozy, Vorsitzender der konservativen Republikaner (UNP), forderte bereits in der Anschlagsnacht „bedeutende Veränderungen“ in der Sicherheitspolitik. Er versucht in einem Wettlauf mit der Chefin des rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen, das Thema Sicherheit zu besetzen.
Den Anschläge könnte ein Rechtsruck folgen
So verlangte er in einem Fernsehinterview am Sonntagabend elektronische Fußfesseln für tausende Franzosen, die wegen Radikalisierung einen Sicherheitsvermerk S haben, und weitere drastische Maßnahmen. „Sarkozy spielt bereits das Spiel für 2017“, schreibt die Zeitung „Le Monde“. Dann will der Ex-Präsident, der dem Sozialisten Hollande 2012 unterlag, bei der Präsidentschaftswahl seine Revanche nehmen. Ein letzter Test an den Urnen findet in drei Wochen statt: Dann wird in den 13 Regionen Frankreichs gewählt. In mindestens zwei davon könnte der FN gewinnen.
Dessen Chefin Le Pen sieht sich durch die Ereignisse in ihrem Kurs bestätigt: gegen Einwanderung, für die Abschottung hinter Landesgrenzen und mehr Sicherheit für ihre Landsleute. „Frankreich und die Franzosen sind nicht mehr in Sicherheit“, kritisierte Le Pen noch am Freitagabend. In den kommenden Wochen wird sie die Ereignisse mit noch drastischeren Worten ausschlachten. „Zwischen Sarkozy und Le Pen wird der Kampf erbarmungslos ausgetragen“, prophezeit das Magazin „Le Point“. Die nationale Einheit droht dabei auf der Strecke zu bleiben.