Möglichen Kritikern nahm Steinbrück schon zu Beginn seines Referats den Wind aus den Segeln: Es gebe in der Rückschau auf Krisenbewältigung und Rettungsschirm drei legitimatorische Fragen:
Erstens, warum auf die Schnelle so umfangreiche Mittel bereitgestellt werden konnten, während andere gesellschaftliche Bereiche unterfinanziert sind, zweitens, wer letzten Endes die Rechnung
bezahlen müsse und ob nicht Haftung und Risiko auseinanderfallen und drittens, wo das Primat liege, bei demokratisch legitimierter Politik oder den Märkten? Alle diese Fragen seien bislang noch
nicht beantwortet.
Bankenrettung war notwendig
Eines stellte der seinerzeitige Finanzminister jedoch klar: Die Bankenrettung war notwendig. Schließlich habe man nicht die Existenz von gierigen und unverantwortlichen Finanzjongleuren
gesichert, sondern die Einlagen der Bürgerinnen und Bürger sowie jene institutioneller Anleger wie Krankenkassen und Genossenschaften. Auch wies Steinbrück darauf hin, dass über die inzwischen
verstaatlichte Hypo Real Estate mehr als ein Viertel aller deutscher Pfandbriefgeschäfte abgewickelt werden.
Kurzum: Es ging nicht um die Banken als Unternehmen, sondern um die mittelbaren oder unmittelbaren Ersparnisse der Menschen. Dies bestätigte Professor Burda mit einem Hinweis auf die
Geschichte seines Heimatlandes, der Vereinigten Staaten: Dort habe man in einer vergleichbaren Situation in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die Banken in die Pleite gehen lassen - die
Folge war die größte Wirtschaftskrise aller Zeiten.
Der linken Forderung nach einer umfassenden Verstaatlichung im Bankensektor erteilte Steinbrück eine spöttische Absage: "Die verantwortliche Arbeit in fünf oder sechs Aufsichtsräten von
staatlichen Großbanken, das schafft vielleicht Sahra Wagenknecht - ich traue mir das persönlich nicht zu." Doch auch nach rechts trat Steinbrück aus: Den populistischen Rufen nach einer Abkehr
vom Euro hielt er harte Fakten und ein klares Bekenntnis zur Europäischen Währungsunion entgegen: "Wir haben keine Eurokrise. Der Euro ist nach wie vor eine seriöse starke Währung mit einem
Außenwert von 1,30 Dollar. Das waren auch schon einmal 89 US-Cent."
Sozialstaat als Kulturgut
Professor Hickel vertrat die Auffassung, dass es ein Versäumnis der Politik gewesen sei, vor der Krise die Finanzmärkte nicht umfassend und wirkungsvoll reguliert zu haben. Das Handeln in
der Krise sei dann schließlich nicht Ergebnis fundierter Entscheidungsfindungen gewesen, sondern unter dem Druck akuter Bedrohung erfolgt. Im letzten Punkt stimmte Steinbrück zu, im ersten nur
bedingt: "Bei uns war dieser Sektor immer stärker reguliert als in Großbritannien oder den USA."
"Die Märkte im Griff? Im Griff der Märkte? Peer Steinbrück diskutiert über die Krise des Sozialstaates" - unter diesem Titel hatte der Veranstalter, die Landeszentrale für politische
Bildungsarbeit, zu der Diskussion eingeladen. Über den Sozialstaat waren an diesem Abend nur wenige Sätze zu hören. Doch die Worte Steinbrücks waren dafür umso deutlicher: "Ich halte den
Sozialstaat für ein Kulturgut und nicht für eine Belastung. Er sorgt dafür, dass wir uns in Deutschland nicht die Köpfe einhauen!" Nicht Finanz- und Wirtschaftskrise sondern die demographische
Entwicklung sei die eigentliche Bedrohung. Eine Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme durch Steuern hält er für den falschen Weg: "Dann wären die Kleinen die Lastesel und nicht die
Verdiener meiner Kategorie."