Im Iran wird ab Freitag ein neuer Präsident gewählt. Gute Siegchancen habe der Hardliner Sa´id Dschalili, sagt der Iran-Experte Adnan Tabatabei. Dass sich die massiven Proteste nach der Wahl von 2009 wiederholen könnten, glaubt er nicht. Der regimekritische Teil der Bevölkerung sei ernüchtert.
vorwärts.de: Mit der Präsidentschaftswahl im Iran endet die achtjährige Regierungszeit von Mahmud Ahmadinedschad. Wie hat sich das Land in dieser Zeit verändert?
Adnan Tabatabai: Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene ist die Stimmung unversöhnlicher geworden. Ahmadinedschad wollte seine Macht nur mit Leuten teilen, die ihm nahe stehen. Die Atmosphäre ist vergiftet. Viele Bürger haben die Hoffnung, ihre Probleme politisch lösen zu können, fast vollständig verloren. Auch wirtschaftlich geht es bergab. Die hausgemachten Probleme werden durch die UN-Sanktionen noch verstärkt.
Nun wird ein neuer Präsident gewählt. Aus 686 Kandidaten hat der Wächterrat nur acht zur Wahl zugelassen. Nach welchen Kriterien sucht er die Kandidaten aus?
Es gibt gesetzlich festgeschriebene Kriterien: Ein Kandidat muss mindestens einen Masterabschluss haben, schiitischer Muslim sein und Erfahrung in politischen Ämtern aufweisen. Gesetzlich schwammig wird es bei dem Kriterium, dass der Kandidat sich der Islamischen Republik zugeneigt zeigen muss – also ideologisch auf Linie sein muss. Auf wen das zutrifft, liegt im Ermessen des Wächterrates.
Wenn nach so einem Verfahren nur acht linientreue Kandidaten übrig bleiben: Was für eine Wahl hat das Volk dann noch?
Wenn man auf die Präsidentschaften von Mohammad Chatami und Ahmadinedschad zurückblickt, sieht man, dass sie in ihrer Rhetorik sehr unterschiedlich waren. Sie haben einen unterschiedlichen Diskurs geführt, der sich sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch auswirkt. Man kann dieselben politischen Ziele auf unterschiedliche Weise verfolgen. Das Volk kann zwischen diesen verschiedenen Ansätzen wählen.
Welche Kandidaten halten Sie für die Favoriten?
Man kann davon ausgehen, dass die regimetreuen Kandidaten es leichter haben. Der Revolutionsführer Chameini ist offiziell neutral, aber man kann durch Äußerungen aus seinem Umfeld erahnen, wem er am nächsten steht. Das ist offensichtlich Sa´id Dschalili. Als Kriegsversehrter genießt er hohes Ansehen, ist mit 48 Jahren der jüngste Kandidat und leitet die prestigeträchtigen Nuklearverhandlungen mit den P5+1 Staaten. Das alles dürfte ihm viele Stimmen bei den zahlreichen Anhänger der Islamischen Revolution verschaffen. Chancen können sich auch die etwas moderateren Kandidaten Mohammad Ghalibaf und Hassan Rouhani ausrechnen.
Wie unterscheiden sich die drei Kandidaten?
Mit Dschalili wird eine bestimmte Generation angesprochen: Eine neu geschaffene Elite, die im Sinne der Iranischen Revolutionsgarde erzogen und gefördert wird. Seine Politik ist stark von Ideologie geprägt, pragmatische Ansätze geraten dadurch schnell in den Hintergrund. Das kann zu Missmanagement und weiter verstärkter Vetternwirtschaft führen.
Von Rouhani ist eher ein pragmatischer, technokratischer Politikstil zu erwarten. Ihm wird mehr diplomatisches Geschick zugetraut. Ich glaube, dass er auch eher in der Lage ist, über die politischen Fraktionen hinweg gemeinsam an den Problemen des Landes zu arbeiten. Auch Ghalibaf würden einen pragmatischeren Ansatz wählen und mehr auf Entspannung und Zusammenarbeit setzen, sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch. Ob das am Ende auch zu Verbesserungen führen würde – etwa zu mehr politischen Partizipationsmöglichkeiten oder einer offeneren Bildungs- und Medienlandschaft – lässt sich aber schwer abschätzen.
Der Wahlkampf ist kurz. Wie wirkt sich das aus?
Offiziell beginnt der Wahlkampf erst, wenn der Wächterrat die Liste der Kandidaten bekannt gibt. In diesem Jahr war das drei Wochen vor dem Wahltag. Der Wahlkampf ist dafür umso intensiver – und auf den letzten Metern können sich noch starke Dynamiken entwickeln. Um die Details der jeweiligen Programme zu betrachten, bleibt natürlich wenig Zeit. Einfache Parolen können eine starke Wirkung erzielen.
Erwarten Sie, dass es wie 2009 nach der Wahl wieder zu Protesten kommt?
Das glaube ich nicht. Zwar sind viele Sprechchöre von damals heute wieder zu hören. Die Ideen der grünen Bewegung sind nicht verschwunden. Aber ich bezweifle, dass sie noch einmal dieselbe Wucht entwickeln wie 2009. Die Proteste haben damals zu keinem Erfolg geführt. Im Gegenteil: Die Lage hat sich sogar verschlechtert. Das hat zu Ernüchterung geführt und viele Menschen entpolitisiert. Außerdem bekommen die Iraner natürlich mit, was in Syrien passiert. Dieser Bürgerkrieg schreckt davor ab, sich gegen eine Regierung aufzulehnen, die in Teilen der Bevölkerung einen starken Rückhalt genießt.
Kann der Westen nach der Wahl auf eine andere Außenpolitik hoffen, etwa im Streit um das iranische Atomprogramm?
Inhaltlich wird die Politik dieselbe sein, egal wer gewinnt. Wie der neue Präsident diese iranische Position vertreten wird, ist eine andere Frage. Er kann auf Konfrontation setzen oder gemeinsam mit dem Westen nach Lösungen suchen. Rouhani hat den Streit um das Atomprogramm als ehemaliger Nuklear-Unterhändler schon einmal geführt und auch Zugeständnisse gemacht. Dschalili ist der aktuelle Nuklear-Unterhändler und hat sich bisher weniger kompromissbereit gezeigt.
Adnan Tabatabai ist Politologe und Iran-Experte. Er ist Lehrbeauftragter der Humboldt-Universität Berlin und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Doktorand an der Universität Duisburg-Essen.
Anmerkung der Redaktion: Kurz vor der Wahl haben zwei der zugelassenen acht Kandidaten ihre Bewerbung zurückgezogen. Sollte am Freitag kein Kandidat eine absolute Mehrheit erhalten, wird ein zweiter Wahlgang folgen.
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.