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Der vergessene Auftragsmord an Kreml-Kritiker Litwinenko

Am 23. November 2006 starb der Kreml-Kritiker Aleksandr Litwinenko in London an einer radioaktiven Vergiftung. Bis heute leugnet Moskau jede Verantwortung. Stattdessen bezichtigt man den Westen „antirussischer Hysterie“. Litwinenkos Mörder werden in Russland gefeiert und machen Karriere.
von Dmitri Stratievski · 23. November 2016
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Bis 1998 war Aleksandr Litwinenko ein vorbildlicher Geheimdiesntoffizier Russlands. Dann gab der damalige FSB-Oberstleutnant überraschend eine Pressekonferenz und beschuldigte seinen Vorgesetzten der Anstiftung zum Mord. Opfer sollte Boris Beresowskij werden, ehemaliger Leiter des Sicherheitsrates Russlands und eine der einflussreichsten Personen der Jelzin-Zeit.

Litwinenko suchte Schutz in Großbritannien

1999 wurde Litwinenko verhaftet und kurz danach vom Gericht freigesprochen. Der Inlandsgeheimdienst FSB ermittelte erneut gegen ihn. Litwinenko floh nach Großbritannien und wurde dort als politischer Flüchtling anerkannt. Er dementierte den Vorwurf aus Russland, die Asylgewährung sei eine Gegenleistung für seinen Hochverrat, und sorgte mit seinen weiteren Anschuldigungen gegen Wladimir Putin und dessen Umfeld für Schlagzeilen. Litwinenko beriet den ebenfalls ins Exil gegangenen Beresowskij in Sicherheitsfragen. 2006 wurde Litwinenko in Großbritannien eingebürgert und bekam eine neue Identität als Edwin Carter.

Am 1. November 2006 traf Litwinenko in einem Londoner Hotel zwei Russen, Andrej Lugowoj, einen früheren KGB-Mitarbeiter, und Dmitrij Kowtun, der sich zeitweise in Hamburg aufhielt. Kurz danach wurde Litwinenko ins Krankenhaus gebracht. Am 23. November starb er, vergiftet von einer großen Menge des radioaktiven Poloniums 210.

Ex-Premier Gaidar: Es war ein Auftragsmord

Die Gesamtermittlungszeit betrug fast zehn Jahre. Die deutsche Polizei fand in den Wohnungen von Kowtuns Mutter in Haselau und seiner Ex-Frau in Hamburg deutliche Radioaktivitätsspuren. Während die westlichen Zeitungen über eine mögliche Verwicklung beider Männer bzw. des russischen Staates in den Mordanschlag auf Litwinenko schrieben, stellten die russischen Massenmedien ihre eigenen Hypothesen auf, wie die Mitarbeit Litwinenkos an einer schmutzigen Bombe. Mehrere russische Oppositionspolitiker wie Ex-Premier Jegor Gaidar sprachen von einem Auftragsmord.

Russische und US-amerikanische Wissenschaftler stritten über die Herkunft des Poloniums. Am 21. Januar 2016 stellte Richter Robert Owen den Abschlussbericht (ohne strafrechtliche Konsequenz) auf Grundlage mehrerer Quellen vor, laut dessen Lugowoj und Kowtun „im Auftrag von Anderen“ Litwinenko getötet hätten. Moskau wies das Untersuchungsergebnis als ungeeignet zurück.

Moskau sabotierte die Ermittlungen

Der Litwinenko-Fall belastete die britisch-russischen Beziehungen schwer. Auch wichtige Wirtschaftsprojekte wurden davon beeinflusst. Trotz Millionenschaden unterstützte der Kreml nicht die Ermittlungen der britischen Behörden. Die russische Fluggesellschaft Aeroflot gestattete der britischen Polizei nicht, die Flugzeuge zu untersuchen, die Lugowoj und Kowtun auf dem Heimflug genommen haben. Die beiden Männer verweigerten jede Zusammenarbeit mit den britischen Behörden.

Die Ermittler wurden in den russischen Medien als vertrauensunwürdig und a priori „antirussisch“ dargestellt, ihre Arbeit im Kontext des „Kampfes des Westen gegen Russland“ interpretiert. Laut der Zeitung „Izvestija“ ging es beim Ermittlungsergebnis um eine „quasi-rechtliche, auf Gerüchten und Ersinnungen“ basierte Aktion, einen Bestandteil des „Informationskrieges gegen Russland“. Der britische Richter wurde als „verrückt“ bezeichnet. Der staatliche Sender „Zvezda“ betitele das Verfahren als „antirussische Hysterie“ und einen Versuch, „Russland anzuschwärzen“.      

Russischer Verdientsorden für den Mörder

Die beiden Tatverdächtigen leben derzeit in Russland. Lugowoj wurde Duma-Abgeordneter der rechtspopulistischen Zhirinowskij-Partei und wurde 2015 mit dem Verdienstorden für das Vaterland gewürdigt. Kowtun ist ein erfolgreicher Unternehmer.

Autor*in
Dmitri Stratievski

ist promovierter Historiker, Politologe und Osteuropa-Experte.

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