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"Der Sozialstaat ist kein Luxusprojekt"

von Carl-Friedrich Höck · 7. November 2011
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vorwärts: Herr Nußbaum, was halten Sie von Sigmar Gabriels Vorschlag, Banken in Investment- und Geschäftsbanken aufzuteilen?

Ulrich Nußbaum: Der Vorschlag geht in die richtige Richtung. Geschäftsbanken müssten dann nicht mehr die Risiken aus dem Investmentbanking tragen. Damit würde das Finanzsystem stabiler werden.

Wer ist verantwortlich für die Euro-Krise? Die Staaten, die Schulden gemacht haben, oder die Banken, die ihnen immer weiter Kredite gewährt haben?

Beide sind schuld. Es ist gut, dass jetzt über Staatsschulden diskutiert wird. Aber wenn ein Staat Schulden aufnimmt, um in die Zukunft zu investieren, ist das nichts Schlechtes. Die Frage ist, in welchem Verhältnis die Schulden zu dem stehen, was ein Land erwirtschaftet. Bei Griechenland und anderen Staaten stimmt dieses Verhältnis nicht mehr.

Hinzu kommt, dass die Märkte der europäischen Politik nicht zutrauen, schnell und richtig auf die Krise zu reagieren. Die Euro-Staaten können ja nur einstimmig Entscheidungen treffen, was mit so vielen nationalen Regierungen schwierig ist. Die USA stehen dagegen weniger im Fokus der Ratingagenturen, obwohl deren Staatsverschuldung viel größer ist.

Eine Finanzkrise folgt der nächsten. Legen Sie ihr eigenes Geld heute anders an als früher?

Ich war immer vorsichtig und habe den Spruch meines Vaters beherzigt: Lege nicht alle Eier in einen Korb! Und ich rate Jedem: Legen Sie ihr Geld nicht nur in Gold an, oder nur in Staatsanleihen, oder alles bar unters Kopfkissen. Teilen Sie es auf unterschiedliche Anlagen auf. Es gibt nichts absolut Sicheres auf der Welt.

In diesem Jahr greift zum ersten Mal die Schuldenbremse. Sie zwingt Bund und Länder, Jahr für Jahr mehr Geld einzusparen. Müssen sich die Bürger jetzt auf zunehmenden Sozialabbau einstellen?

Nein. Ich bin davon überzeugt, dass in unserem System noch viele Möglichkeiten stecken, aus dem gleichen Geld mehr rauszuholen. Indem wir uns Gedanken machen: Was brauchen wir wirklich? Indem wir Abläufe verbessern. Indem wir Subventionen streichen oder den einen oder anderen Lobbyisten mal zurückweisen.

Wir brauchen aber einen anderen Politikstil. Statt immer Geld zu verteilen, sollten die Politiker überlegen, wie sie mit dem gleichen Budget mehr erreichen können.

Ist das nicht ein Problem für die Sozialdemokratie? Sie steht doch traditionell für den Ausbau des Sozialstaates.

Der Sozialstaat ist kein Luxusprojekt. Wir machen das nicht zum Spaß, sondern müssen eine Gesellschaft zusammenhalten und jeden Einzelnen mitnehmen. Aber wir dürfen bei Sozialausgaben nicht auf Trägerstrukturen hereinfallen und die Sozialindustrie verhätscheln.

Das Geld des Staates soll auf sinnvolle Weise beim Sozialhilfeempfänger ankommen und nicht in Behörden und Vereinen versickern.

Berlin hat jetzt schon 63 Milliarden Euro Schulden. Wo lässt sich noch Geld einsparen?

Wir müssen umschichten. Wir haben sehr stark in Kitas und in Bildung investiert, was ich für richtig halte. Dafür werden wir bei den öffentlichen Beschäftigungsverhältnissen sparen und verstärkt in die Wirtschaftskraft und Berliner Arbeitsplätze investieren.

Außerdem überlegen wir genau, welche Investition notwendig ist. Ob wir einen Polizeiwagen auch mal ein Jahr länger fahren lassen können. Wir haben auch bei der Wohnungsbauförderung eingespart, weil die öffentlich finanzierten Wohnungen am Ende teurer waren als die privaten.

Von 2003 bis 2007 waren Sie für die SPD Finanzsenator in Bremen. Seit 2009 bekleiden Sie in Berlin das gleiche Amt - wieder für die SPD. Warum wollen Sie nicht in die SPD eintreten?

Ich stehe der SPD inhaltlich und gedanklich sehr nahe. Ich glaube aber, als Parteiloser kann ich - über die SPD-Mitglieder hinaus - ganz andere gesellschaftliche Kreise für die SPD erschließen. Dadurch übernehme ich eine gewisse Brückenfunktion, und die nutze ich auch für die SPD.

Das Interview führten Carl-Friedrich Höck und Lars Haferkamp.

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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