Die Straßen waren wie leer gefegt am vergangenen Montagmorgen, die Leute blieben zu Hause. Stille herrschte in der Hauptstadt Bissau, erst allmählich sickerte über ausländische Medien durch,
dass der Präsident ermordet worden sei. Soldaten hatten ihn in seinem Haus aufgesucht, angeschossen, schließlich verschleppt und erschossen. Ein Arzt konstatierte einen zähen Überlebenskampf.
Der zuletzt seit 2005 amtierende João Bernardo Nino Vieira war von Soldaten der eigenen Armee ermordet worden, die wenige Stunden zuvor den Tod des Generalstabschefs Tagmé Na Waié durch
einen Bombenanschlag verzeichnen mussten - und auf Rache sannen. So bekannte Militärsprecher Zamora Induta wenige Stunde nach der Vendetta: "Präsident Vieira wurde bei der Flucht aus seinem Haus
erschossen. Eine dem Generalstabschef nahe stehende Gruppe von Armeeangehörigen hatte ihn überfallen."
Alles also ganz normal?
Dass die Bevölkerung nicht sofort an einen politischen Hintergrund dachte, verwundert dabei nur wenige. Die vereinzelten Militärwagen und auch das Radio, das weiter ganz normal Musik spielte,
deuteten jedoch an, dass es diesmal nicht um die Macht in dem auf hunderte Inseln und nur einen kleinen Streifen Festland verteilten Staat ging. Es blieb bei einem persönlichen Rachakt. Keine
Straßensperren, keine Hektik, kein Chaos.
Die Armeeführung erklärte, kein Interesse an dem Präsidentenamt zu haben. Statt dessen verwies sie auf den von der Verfassung vorgeschriebenen Weg einer Übergangsregierung und Neuwahlen
innerhalb der nächsten sechzig Tagen. Der Sprecher der Nationalversammlung Raimundo Pereira wurde als Übergangspräsident vereidigt. "Die Armee stünde hinter ihm," so Militärsprecher Zamora
Induta. Für den ermordeten Generalstabschef und den Präsidenten wurden sieben Tage Staatstrauer verkündet.
Seit der Unabhängigkeit von Portugal im Jahr 1974 ist Guinea-Bissau nie wirklich zur Ruhe gekommen. Vieira selbst hatte sich durch einen Putsch 1980 die erste Amtszeit als Präsident
erkämpft, nach den von ihm selbst erlaubten Mehrparteien-Wahlen wurde er im Jahr 1994 schließlich auch gewählt. Fünf Jahre später allerdings musste er das Land verlassen. Die Armee hatte ihn nach
der Entlassung des Generalstabschefs gestürzt, er überlebte, sein Amt jedoch wanderte in neue Hände. Nach seiner Rückkehr in das höchste Staatsamt im Jahr 2005 ging es vergangenen Sonntag jedoch
um sein Leben, sein Amt interessierte diesmal nicht.
Größter Drogenumschlagplatz Westafrikas
Eine Geschichte, die wie ein böses Märchen klingt, jedoch einen tragischen Hintergrund hat. Denn Guinea-Bissau hat eine Bevölkerung von etwa 1,6 Millionen Menschen und gehört zu den ärmsten
Staaten der Welt. Offiziell lebt es vom Cashew-Kern-Anbau, inoffiziell gilt es als größter Drogenumschlagplatz Westafrikas. Vor allem lateinamerikanische Drogenkartelle transportieren Kokain über
die unkontrollierten Inseln des Landes nach Europa. Auch Militärs werden immer tiefer in den Sumpf gezogen, im April vergangenen Jahres wurden zwei Armeeangehörige mit 635 Kilo Kokain im
Kofferraum festgenommen. Zwar verfügt Guinea-Bissau über 26 Flugplätze mit internationaler Anbindung, jedoch weder über eine Marine noch über eine Luftwaffe, die das Land wirklich kontrollieren
können. "Die Instabilität des Landes liegt an den schwachen politischen Institutionen und einem nicht-existenten Staat," so Idrissa Diallo von der Oppositionspartei National Unity Party, "an der
Spitze des Staates wird beständig um die Macht gerungen, dabei nimmt der Drogenhandel immer mehr Einfluss auf die politischen Auseinandersetzungen."
Erst vor acht Monaten warnte die International Crisis Group vor einem Abgleiten des Küstenstaates in einen gescheiterten Staat. "Das Land braucht dringend eine Reform der Armee," so das
renommierte Institut mit Sitz in Washington, "es bedarf eines fundamentalen Wandels, damit die politischen Geschicke des Landes nicht mehr beeinträchtigt werden."
Bereits im November war es zu einem Mordversuch an Präsident Vieira gekommen. Damals kam der Präsident noch mit dem Leben davon. Experten zweifeln, ob es sich nur um einen internen
Machtkampf handelt oder der Drogenhandel zunehmend an Einfluss gewinnt. Generalstabschef Tagmé Na Waié gehörte der Ethnie der Balanta an, Präsident Vieira stammt von den Papel. Beide hatten sich
schon seit längerem das Leben schwer gemacht, so dass Vieira auf eine 400 Mann starke Präsidentengarde zurückgreifen musste. Am Sonntag konnte jedoch auch die nicht mehr helfen.
Internationale Hilfe im Kampf gegen Drogenhandel
Der ehemalige Finanzminister Victor Mandiga forderte nun eine internationale Untersuchungskommission: "Wir als Guineer kommen einfach nicht mehr voran. Alle unsere nationalen
Untersuchungskommissionen führen nicht weiter. Dabei müssen wir ganz sicher wissen, wer bei den Drogen mitmischt. Denn sie fordern Tote, beeinflussen Rivalitäten zwischen Politikern und zwischen
der Politik und dem Militär." Mandiga appellierte an die Vereinigung portugiesisch-sprachiger afrikanischer Staaten und die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS).
Die ECOWAS kommentierte die Lage in Guinea-Bissau mit Besorgnis. "Die beiden Toten werfen das Land weit zurück," so der Vorsitzende Mohamed Ibn Chambas, "jetzt ist allerdings erst einmal am
wichtigsten, die Verfassung aufrechtzuerhalten." Ob sie Guinea-Bissau bei einer Untersuchung der Vorfälle und des Drogenhandels unterstützen wird, blieb offen.
Das Büro der Vereinten Nationen über Drogenhandel und Kriminalität (UNODC) geht nicht von einem Zusammenhang der Morde mit dem Drogenhandel aus, appelliert jedoch an die internationale
Gemeinschaft, dem Land bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens zu helfen. "Die Durchsetzung des Rechts ist in Guinea-Bissau aus zwei Gründen quasi unmöglich," so Amado Philip de Andres
vom UNODC, "erstens fehlen die Kapazitäten, zweitens die Ausstattung. Das Land hat nicht einmal ein Gefängnis." Sein Büro rief die internationale Gemeinschaft den Mord als letztes Warnsignal zu
verstehen und hat einen umfassenden Plan zum Ausbau der Polizei und Drogenfahndung erarbeitet. "Wenn nicht geholfen wird, droht die Lage bald zu explodieren" so de Andres.
Jérôme Cholet arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten. Themen sind Wahlen, Armut und Entwicklung.
Fotonachweis: Frauen in Guinea Bissau. Foto: pixelio.de_tokamuwi
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