Das Ökologische ist sozial: Wie wir eine nachhaltige Welt schaffen
Ute Grabowsky/photothek
Der Klimawandel, die Globalisierung, ein zunehmender Rechtspopulismus: Die globalen Gesellschaften stehen am Scheideweg. Wenn wir jetzt nicht klug handeln, lassen sich manche sozialen Fragen künftig kaum mehr beantworten. Vier Überlegungen, wie neue Perspektiven geschaffen werden können:
1. Gewinner & Verlierer der Globalisierung – Es gibt ein inklusives Modernisierungsprojekt
Wir haben vom Wissenschaftlichen Beirat für globale Umweltveränderungen der Bundesregierung (WBGU) 2011 eine Studie vorgelegt, um zu zeigen, wie der Übergang zu einer klimaverträglichen, nachhaltigen Weltwirtschaft gelingen kann, ohne den globale Umweltkrisen unvermeidlich werden: den „Gesellschaftsvertrag für die Große Transformation zur Nachhaltigkeit“. Welche Sektoren müssen transformiert werden, in welchen Zeiträumen und mit welcher Geschwindigkeit, welche Technologien sind notwendig, welche Anreize sinnvoll, was kostet das alles?
In der 500 Seiten starken Analyse widmen wir der Frage, wie ein beschleunigter, grüner Strukturwandel sozial gestaltet werden kann, zu wenig Raum. Also: Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft müssen integrativ und systematisch mit der Frage der sozialen Inklusion verbunden werden. „Grün“ ist nicht automatisch „sozial“, „grün“ kann soziale Herausforderungen sogar verschärfen. Beispiele sind: die Lausitz, das Ruhrgebiet, die Automobilindustrie, der das Schicksal von RWE u.a. droht, wenn sie die Zeichen der Veränderung Richtung Elektromobilität übersieht.
Das größte Modernisierungsprojekt seit der Industriellen Revolution
Ich plädiere jetzt nicht für lauwarme Kompromisse. Das Zeitfenster zur Vermeidung eines gefährlichen Erdsystemwandels ist extrem klein – aber: Wir müssen konkrete Transformationsstrategien zur Nachhaltigkeit entwickeln, die die ökologischen und die sozialen Herausforderungen zugleich angehen und Menschen für diese Veränderungen „mit an Bord nehmen“. Nur so entsteht Legitimation für den ökologischen Wandel – dies gilt erst recht in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Und dann bleibt das Kernergebnis unseres Reports von 2011 richtig: Die Nachhaltigkeitstransformation ist das größte Modernisierungsprojekt für unsere Wirtschaften und Gesellschaften seit der industriellen Revolution.
2. Kontrollverlust – Internationale Kooperation schafft Sicherheit und soziale Kohäsion
Weil nach der internationalen Finanzkrise und weltweiten Flüchtlingskrisen viele Menschen bezweifeln, dass globale Herausforderungen und Globalisierung durch internationale Kooperation beherrschbar werden können, sind positive Beispiele wichtig. Die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens ist eine Chance zu zeigen, dass Multilateralismus funktioniert. Die G20-Präsidentschaft Deutschlands 2017 muss entsprechend genutzt werden.
Eine Großbaustelle, die verantwortlich ist für Wahrnehmungen des Kontrollverlustes, der Unsicherheit, der Intransparenz, der Gerechtigkeitsdefizite, sind die internationalen Finanzmärkte. Hier müssen Fortschritte gemacht werden, um soziale Fliehkräfte zurückzudrängen. Das Primat der Politik, als Basis der Demokratie, muss wieder durchgesetzt werden.
Die Reform der Finanzmärkte
Die Finanzmärkte müssen in vier Dimensionen an Haupt und Gliedmaßen reformiert werden:
- Finanzmärkte sind Ungleichheitsmultiplikatoren; wer über kein Kapital verfügt, kann nicht „mitspielen“; wer „mitspielt“ wird nur unzureichend besteuert.
- Steuervermeidungsstrategien von Wohlhabenden und international agierenden Unternehmen sowie Steuerwettläufe zwischen Staaten zerstören das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen und müssen eingedämmt werden.
- Die Volatilitäten und Spekulationsdynamiken müssen weiter reduziert werden, um zu verhindern, dass Bürger in der nächsten Finanzkrise erneut die Rettung des Finanzsystems bezahlen müssen;
- Trotz des Null-Zins-Niveaus in der Weltwirtschaft werden immer noch zu geringe Investitionen in die Sektoren gelenkt, die für die Nachhaltigkeitstransformation notwendig wären: Hier müssen Anreizstrukturen und Regeln neu geordnet werden.
3. Abgekoppelte Eliten – Erneuerung der solidarischen Gesellschaft
Hier sind zwei Dinge vordringlich:
- Steuerpolitik, Erbschaftssteuerpolitik, transparente Finanzmärkte, die Steuervermeidungsstrategien erschweren, sind „technische“ Antworten auf die Abkopplung von Eliten. So kann signalisiert werde, dass alle Bürger angemessen zum Allgemeinwesen beitragen.
- Noch wichtiger ist: Es geht um unser Gesellschaftsbild, es geht um eine „Haltung“, um die kulturellen Grundlagen unserer Gesellschaft: Gemeinwohlorientierung, Verantwortungsgemeinschaft, sozialer Ausgleich als Grundlage der Demokratie. Hierauf müssen wir uns wieder und neu verständigen, um soziale und politische Fliehkräfte einzudämmen. Den Gegenentwurf sollten wir ad acta legen, er ist nicht demokratietauglich: Shareholder – Gesellschaft, Marktdemokratie, Marktgesellschaft.
4. Prekäre Identität und Ausgrenzung – Perspektiven, Hoffnung, Zukunft schaffen
Gegen Verunsicherung, Angst und Wutpolitik helfen Perspektiven, Hoffnung und die Schaffung von Zukunftsräumen. Hier sollen am Ende nur drei Dimensionen genannt werden:
Wohlstand und Entwicklung:
Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, 2015 von den Nationalstaaten innerhalb der Vereinten Nationen verabschiedet, ist ein multilateraler Glücksfall in turbulenten Zeiten. Es könnte für die Weltwirtschaft, für nationale Gesellschaften, auch für Deutschland einen Rahmen für einen Gesellschaftsvertrag für inklusive und nachhaltige Entwicklung darstellen. Die Agenda 2030 kann zugleich zu einem Modernisierungs-, Gerechtigkeits- und Friedensprojekt werden.
Europa:
Bei allen Schwierigkeiten bleibt die Europäische Union das ambitionierteste und erfolgreichste Kooperationsprojekt zwischen Staaten in der Menschheitsgeschichte. Was könnte wichtiger sein im Zeitalter explodierender grenzüberschreitenden Interdependenzen? Wie soll Frieden funktionieren, ohne eine gemeinsame Kultur der Kooperation? 2030 werden wir Europäer nur noch fünf Prozent der Weltbevölkerung darstellen. Wir müssen uns zusammenraufen, um den globalen Wandel mitgestalten zu können. Für unsere Kinder wünsche ich mir eine europäische Bürgergesellschaft. Der Schwung für ein gemeinsames Europa muss neu entfacht werden.
Und schließlich – die offene Gesellschaft, Vielfalt, Demokratie, Anerkennung, kulturelle Diversität, Weltoffenheit
Wir hatten gedacht, das wäre alles selbstverständlich. Wir müssen wieder dafür streiten.
Der Text basiert auf einem Vortrag, den Dirk Messner anlässlich des 90. Geburtstags von Erhard Eppler am 9. Dezember 2016 in Stuttgart gehalten hat.
ist Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und Co-Direktor des Käte Hamburger Kollegs – Centre for Global Cooperation Research.