Corona-Krise: „Die USA verlieren extrem an Glaubwürdigkeit“
In der vergangenen Woche hat Deutschland China überholt, was die Zahl der Corona-Infizierten angeht. Rächt es sich jetzt, dass der rigorose Umgang des Landes anfangs hierzulande etwas belächelt wurde?
Es zeigt sich, dass wir den Ausbruch viel früher viel ernster hätten nehmen und uns viel früher hätten vorbereiten müssen. Gleichzeitig kann man das chinesische und das deutsche System nicht komplett miteinander vergleichen. Ich glaube daran, dass auch eine demokratische Krisenbewältigung möglich ist.
Was kann man trotz der unterschiedlichen Systeme von China im Umgang mit Corona lernen?
Das rigorose Testen und Nachverfolgen der Infizierten sowie deren Isolation waren in China entscheidend. Das ist die Strategie, die wir fahren müssten. Auch um aus der Lockdown-Situation, in der wir gerade sind, herauszukommen. Damit haben wir uns Zeit gekauft, um uns vorzubereiten, mit der Bevölkerung zu kommunizieren und Entscheidungen zu treffen. Das ist auch gut und richtig, aber jetzt geht es darum, dass wir darüber nachdenken, wie wir aus dieser Situation wieder herauskommen. Das kann man sich in einer Art Phasenmodell vorstellen. Wir sind jetzt in der Phase der Schadensbegrenzung, müssen aber wieder in die Phase der Eindämmung. Das beinhaltet, dass alle potenziell Infizierten konsequent getestet, nachverfolgt und isoliert werden.
Kann Südkorea mit Blick auf flächendeckende Tests als demokratisch verfasster Staat ein passendes Beispiel für Deutschland sein?
Man sollte viel mehr in diese Richtung gehen. Das bedeutet, die Testkapazitäten in Deutschland auszubauen. Das wird die einzige Möglichkeit sein, aus dieser Krise herauszukommen. Dafür muss man die kommunalen Gesundheitsämter und die Landesgesundheitseinrichtungen massiv stärken. Durch Personal, finanzielle Mittel und beschleunigte Meldewege.
Die USA führen die globale Statistik mit mehr als 350.000 Infizierten an. Lässt sich daraus ablesen, dass dort das Corona-Management am schlechtesten funktioniert?
Ja, ich denke schon. Die USA haben viel zu spät angefangen, flächendeckend zu testen und viel zu lange gebraucht, um Entscheidungen zu treffen. Auch dass das Virus am Anfang extrem verharmlost wurde, war im Sinne der Vorbereitung natürlich in keiner Weise hilfreich. Zum fehlenden politischen Willen kommt hinzu dazu, dass die USA ein Gesundheitssystem haben, das hochgradig auf private Finanzierung ausgelegt ist.
Sind die USA als Industrienation trotzdem noch in einer vergleichsweise komfortablen Situation?
Natürlich besitzen sie Ressourcen, die sie nutzen können. Zum Beispiel, indem andere Industriezweige ihre Produktion umlenken und jetzt Schutzkleidung herstellen. Das ist natürlich in einem Industrieland eher möglich. Gleichzeitig haben innenpolitische Maßnahmen der USA wie die Abschottungspolitik oder der fehlende politische Wille im Umgang mit der Krise auch Auswirkungen auf internationalem Parkett. Die USA werden extrem an Glaubwürdigkeit in der globalen Gesundheitspolitik verlieren. Was das für die internationale Ordnung im Gesundheitsbereich bedeutet, zeichnet sich langsam ab. Chinas Bedeutung nimmt zu, die europäische Antwort ist eher ein Flickenteppich.
Mit Blick auf die Ausbreitung des Virus wird vor allem über die Situation in Europa und den USA als den momentanen Hotspots berichtet. NGOs warnen jedoch vor drohenden katastrophalen Zuständen in Staaten wie dem Jemen, Somalia und Südsudan. Sind die Entwicklungsstaaten bisher zu wenig im Fokus?
Wer testet, der findet auch Fälle. In Europa und den USA haben wir gut funktionierende Testsysteme, die schnell Fälle entdecken. Das ist leichter als in einem Staat, der gebeutelt ist von bewaffneten Konflikten und ein löchriges Gesundheitssystem hat. Dort wird es auch Fälle geben, aber wir sehen sie nicht in der öffentlichen Statistik. Zudem: Corona kommt in diesen Ländern auf bestehende Krisen oben drauf. Es verstärkt Krisen, die sowieso schon da sind.
Wie stellt sich die Situation in diesen Ländern aktuell dar?
Einige afrikanische Länder, die schon häufig mit dem Ausbruch von Infektionskrankheiten zu tun hatten, sind nicht unbedingt schlecht vorbereitet. Die Afrikanische Union hat ganz früh gute Strategien zur Vorbereitung vorgelegt. Sie waren damit schneller als die Europäische Union. Im Sinne der globalen Solidarität brauchen diese Länder trotzdem internationale Unterstützung. Beispielsweise sind über die Strukturen des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Tuberkulose, Malaria und Aids Maßnahmen zur Unterstützung in diesen Ländern möglich.
Was kann in Bezug auf die globale Gesundheitsprävention von Corona lernen?
Wir brauchen flächendeckend eine allgemeine Gesundheitsversorgung. Das ist für uns in Deutschland nichts Neues. Denn es bedeutet eine umfassende Gesundheitsversorgung, die alle einschließt, einen hohen Leistungskatalog hat und vor allem nicht finanziell diskriminiert. Ein umfassendes Sozialversicherungssystem ist ein Puffer für Krisenzeiten. Denn man muss während einer solchen Pandemie zum einen die Krankheit eindämmen, zum anderen aber auch schon die Folgen abschätzen und abfedern. Das passiert in vielen Ländern gerade durch wirtschaftliche Hilfen. Bei uns ist das möglich, weil wir Strukturen haben, die das leisten können. Jedoch sollte man sich darauf nicht ausruhen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo