„China will die Dominanz des Westens brechen“
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China hat sich in den vergangenen Jahren zu einer wirtschaftlichen Weltmacht entwickelt. Gleichzeitig ist der Wohlstand in der Bevölkerung gewachsen, genauso die weltpolitischen Ambitionen des Landes. Wenig bekannt ist über die Politiker, die das Land anführen. In den Blickpunkt der Öffentlichkeit gelangt die herrschende Kommunistische Partei an ihrem Parteitag. Alle fünf Jahre kommen 2500 Delegierte zusammen und legen die zukünftige Ausrichtung der Politik fest. Einer, der sich mit China auskennt, ist Bernhard Bartsch. 14 Jahre lang hat er als Korrespondent für deutsche Zeitungen aus China berichtet. Inzwischen lebt der 42-Jährige in Deutschland und beschäftigt sich bei der Bertelsmann Stiftung mit Asien.
In Peking hat der Parteitag begonnen. Es gilt als sicher, dass Generalsekretär Xi Jinping für eine zweite Amtszeit bestätigt wird. Handelt es sich bei der Veranstaltung um mehr als eine Inszenierung?
Der Parteitag ist an Bedeutung durchaus vergleichbar mit der Wahl des US-Präsidenten. Der innere Parteizirkel handelt das Programm und die Führungsriege für die kommenden fünf Jahre aus. Mit Spannung wird der neue ständige Ausschuss des Zentralkomitees des Politbüros erwartet, der am letzten Tag des Parteitags vorgestellt wird.
Dabei handelt es sich um die oberste Parteiführung, zu der zurzeit neun Personen zählen.
An dem Ausschuss wird sich ein Stück weit ablesen lassen, wer sich machtpolitisch durchgesetzt hat. Allerdings weiß man über das Innenleben der Partei wenig. Viele Parteivertreter sind weitgehend unbekannt. Man weiß etwas über ihre Loyalitäten und frühere Posten, aber wofür sie inhaltlich stehen, ist unklar. Unter Xi Jinping ist die Partei noch verschlossener geworden, während früher Streitigkeiten oder Parteifraktionen noch etwas besser zu erkennen waren.
Wie unterscheidet sich Xi Jinping von früheren Generalsekretären?
Seine Vorgänger haben als „Primus inter Pares“ regiert, der Parteichef hat zwischen den unterschiedlichen Fraktionen moderiert. Das hat sich mit Xi Jinping überraschend verändert. Vor fünf Jahren hat niemand damit gerechnet, dass der Generalsekretär so viel Macht auf sich konzentrieren würde. Letztendlich zeigt dies nur, wie wenig wir wissen.
Wofür setzt Generalsekretär Xi Jinping seine Macht ein?
Die erste Amtszeit war beherrscht von der Konsolidierung seiner Macht. Seine sogenannte Antikorruptionskampagne war in Wirklichkeit eine Kampagne gegen politische Gegner, von denen nicht mehr viele übrig sein dürften. Inzwischen ist er unangefochtene Herrscher. Erkennbar ist das auch an der Propaganda, die weit über das hinausgeht, was sich seine beiden Vorgänger Hu Jintao und Jiang Zemin geleistet haben. Die Frage lautet, ob er nun neue, mutige Reformimpulse setzt oder an dem bisherigen Kurs aus Machtkonsolidierung und nationalistischer Propaganda festhält. Zu Letzterem gehört ein selbstbewussteres und oft auch ruppigeres Auftreten auf der Weltbühne. China will die Dominanz des Westens brechen und die weltpolitischen Strukturen zu seinen Gunsten verändern.
China modernisiert seine Armee, entwickelt Tarnkappenflugzeuge und Flugzeugträger. Wirtschaftlich investiert es weltweit. Chinesische Firmen erwerben westliche Technologien. Müssen wir uns Sorgen machen?
Von Europa aus sehen wir ein China, das vor Kraft kaum laufen kann – so offensiv, so stark tritt es auf. Wirtschaftlich ist es mächtig und es wächst immer noch stark. Diese Sichtweise wird von den chinesischen Staatsmedien oft aufgegriffen, in dem das Land beispielsweise als Supermacht dargestellt wird. Das gehört zum Narrativ des „chinesischen Traums“, mit dem sich Xi Jinping legitimiert. Aber von innen betrachtet ist die Sicht eine ganz andere. Ich bin mir sicher, dass die Parteiführung die Situation im Land viel brenzliger einschätzt. Die Instrumentalisierung von Nationalismus, die scharfe Zensur und auch das rigorose Vorgehen gegen Kritiker sind letztlich Ausdruck von Unsicherheit.
Inwiefern?
Die Regierung steht sehr unter Druck, China hat massive Probleme. Da ist die Kluft zwischen Arm und Reich. Reformen kommen nicht so schnell voran, wie die Menschen sich das wünschen. Die Rechtsstaatlichkeit hat abgenommen. Die angekündigte Innovationsinitiative greift nicht wie erhofft. Auch der Erfolg chinesischer Firmen im Ausland ist nicht so eindeutig, wie das bei uns manchmal dargestellt wird. Gemessen an den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen, die China bewältigen muss, ist die Leistung der politischen Führung ernüchternd. Sie hat das Land stabil gehalten, aber bei den internen Reformen nicht so stark vorangebracht, wie sie sich das vorgenommen hat. Am Ende ist entscheidend, ob der Wandel zu einem nachhaltigen, innovativen und sozial gerechten China gelingt.
Bislang gibt es einen unausgesprochenen Gesellschaftsvertrag: Das Volk stellt die Kommunistische Partei nicht infrage, solange sich im Gegenzug der Lebensstandard verbessert. Ist diese Abmachung in Gefahr?
Sie lässt sich nur noch mit sehr teuren staatlichen Konjunkturprogrammen und Subventionen aufrechterhalten. Für viele Chinesen stagniert der Lebensstandard. Für eine Milliarde der 1,3 Milliarden Chinesen hat sich das Leben in den vergangenen Jahren kaum verbessert. Gleichzeitig sind sie mit drängenden Problemen konfrontiert – etwa bei der Lebensmittelsicherheit, der Demografie und der Umwelt.
Warum werden diese Herausforderungen nicht angegangen?
Zunächst sollten wir in aller Demut feststellen: Was China an Herausforderungen bewältigen muss, ist um ein Vielfaches schwieriger als die Probleme, mit denen wir in Deutschland kämpfen – und häufig genug scheitern. Doch ein entscheidendes Hemmnis für echte Reformen liegt in Chinas politischen System: Der Machterhalt der Partei und die politische Stabilität haben stets Vorrang vor wirtschaftlichen Reformzielen.