International

Chaos oder Stabilität

von Daniel Schneider · 9. Mai 2011
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Das deutsche Engagement in Afghanistan wurde in letzter Zeit von anderen außenpolitischen Themen überlagert. Seit den jüngsten Revolutionen und Umstürzen in der arabischen Welt und dem Krieg in Libyen interessiert sich die internationale Öffentlichkeit wenig für das Vorgehen am Hindukusch.

Auf einer vom Landesbüro Sachsen-Anhalt der FES organisierten Veranstaltung debattierten der afghanische Botschafter in Deutschland, Abdul Rahman Ashraf, Robert Lindner vom Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganistationen (VENRO) und Sprecher der AG-Afghanistan, Prof. Dr. Michael Daxner (FU Berlin) sowie der SPD-Bundestagsabgeordnete Burkhard Lischka über die Entwicklung Afghanistans.

Fort- oder Rückschritt?

Die zentralen Fragen betrafen Fort- bzw. Rückschritte beim Wiederaufbau Afghanistans. Verbunden damit war auch ein Ausblick in die Zukunft des zentralasiatischen Landes. Botschafter Ashraf machte deutlich, dass eher von einem Aufbau denn von einem Wiederaufbau gesprochen werden muss. Angesichts der afghanischen Geschichte mit über 40 Jahren Krieg, einer hohen Zahl an oft traumatisierten Kriegsopfern sowie häufigen Regimewechseln muss ein funktionierendes Staatswesen fast vollständig neu aufgebaut werden.

Der Botschafter betonte jedoch die beachtlichen Fortschritte, die in den vergangenen Jahren gemacht worden seien. Diese werden insbesondere beim Aufbau der Infrastruktur und dem Bau neuer Schulen deutlich. Wegen der langen Kriegsjahre fehle auch eine komplette Generation gut ausgebildeter Menschen. Auch seien Begriffe wie Marktwirtschaft und westliche Demokratie neu für viele Afghanen. Wichtig für den Staatsaufbau und die Gewährleistung von Sicherheit sei auch der Aufbau einer funktionsfähigen afghanischen Polizei und Armee, denn Sicherheit und Verteidigung seien primär eine afghanische Aufgabe.

Afghanistan ist nicht das Zentrum des internationalen Terrorismus

Auf dem Podium wurde auch die sich verschlechterte Sicherheitslage in Afghanistan angesprochen. Laut einem Bericht der Bundesregierung hat sich diese seit 2006 deutlich verschlechtert. Allerdings konnte der Abwärtstrend kürzlich gestoppt werden. Einerseits gab es ein Erstarken der Taliban vornehmlich im Süden des Landes, andererseits funktioniere auch häufig die Zusammenarbeit zwischen afghanischen und internationalen Streitkräften nicht.

Während der Debatte wurde auch darauf verwiesen, dass Afghanistan nicht die wichtigste Heimat des islamistischen Terrorismus ist. So wurde z.B. angemerkt, dass die Tötung Osama bin Ladens auf pakistanischem Territorium stattfand. Auch habe Al-Qaida nur wenig mit den afghanischen Taliban zu tun.

Mögliche Zukunftsszenarien

Der Abzug der internationalen Truppen aus dem Land am Hindukusch ist fast beschlossene Sache. 2014 wird häufig als Abzugsdatum genannt. In Magdeburg machte der Bundestagsabgeordnete Burckhard Lischka deutlich, dass für ihn ein Abzug alternativlos sei und sich das Zeitfenster für die ausländische Militärpräsenz schließe. Dies liege zum einen daran, dass die ausländischen Truppen zunehmend auch als Besatzer wahrgenommen würden. Zum anderen könne längerfristig Stabilität nur durch einen funktionierenden afghanischen Staat gewährleistet werden. Letztendlich entschieden also die Afghanen selbst, wohin ihr Land steuert.

Der Wissenschaftler Daxner äußerte sich eher skeptisch, was den Aufbau eines afghanischen Zentralstaats anbelangt. Er entwickelte verschiedene Szenarien, wie sich Afghanistan nach einem Abzug der ausländischen Truppen entwickeln könnte. Ein Szenario beschreibt das Aufkommen interner Kriege entlang ethnischer Konfliktlinien, ähnlich der Situation zwischen 1988 und1995, also vor der Etablierung des Taliban-Regimes.

Einem weiteren Szenario folgend, wäre eine nachhaltige Schwächung der Taliban durch die ISAF-Truppen möglich. Dies würde zur Etablierung der Zentralregierung führen, welche allerdings nur in unterschiedlichen Abstufungen ihre Kontrolle nach einem Abzug der internationalen Truppen ausüben könnte. Ein weiteres mögliches Zukunftsszenario könnte nach Daxners Vorstellung das Entstehen einer Basis-Demokratiebewegung sein, ähnlich wie sie zurzeit in Nordafrika und dem Nahen Osten stattfindet. Dieses Szenario, verbunden mit einem funktionierenden demokratischen Staatswesen ist nach Ansicht Daxners die wünschenswerteste, aber auch unwahrscheinlichste Variante.

Was kann ziviler Wiederaufbau leisten?

Deutsche entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisationen sind bereits sehr lange in Afghanistan aktiv ­- auch schon während der Taliban-Herrschaft. Das macht Robert Lindner deutlich. Entwicklungspolitisches Engagement sei auch unter extrem schlechten Bedingungen möglich, auch wenn nur kleine Fortschritte erzielt werden können.

Lindner widersprach dem Bild, wonach auch Entwicklungshelfer nur in gepanzerten Fahrzeugen und mit Militäreskorte unterwegs seien. Im Gegenteil: Er betonte, dass nachhaltige Aufbauarbeit nur mit dem nötigen Rückhalt in der Bevölkerung erfolgen könne. Auf diesen lege VENRO besonders viel Wert.

Wie also geht es weiter in Afgahnistan? Sicher ist, dass die internationalen Truppen abziehen werden. Angesichts der undurchsichtigen Lage ist es jedoch schwer abzuschätzen, an wen die Verantwortung in Zukunft übergeben werden kann. Wichtig wird sein, das wurde bei der Diskussion deutlich, dafür zu sorgen, dass ein funktionierendes Staatswesen mit Justizsystem, Verwaltung und Sicherheitsapparat aufgebaut und etabliert wird. Eine wichtige Rolle könnten die vielen Exil-Afghanen spielen, die größtenteils gut ausgebildet sind und beim Wiederaufbau helfen könnten.

Eine zentrale Bedeutung, so lässt sich schlussfolgern, hat auch der Aufbau einer heimischen demokratischen Elite. Dieser wird allerdings viel Zeit in Anspruch nehmen. Afghanistan darf nach einem Truppen-Abzug auf keinen Fall fallen gelassen werden, es muss weiterhin in die Staatengemeinschaft eingebunden werden. Auch ohne Militärpräsenz muss die internationale Staatengemeinschaft Afghanistan beim zivilen Wiederaufbau unterstützen.

Autor*in
Daniel Schneider

Dr. Daniel Schneider ( Jahrgang 1944 ), konservativer Anarchist, Studium der Pädagogik, Soziologie und Psychologie, Erfahrungen u.a. in der Lehrerausbildung und der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, viel herumzigeunert, kurze U-Haft in Stuttgart-Stammheim.

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