Mehr als 50 Millionen Stimmzettel waren bereits gedruckt. Das afghanische Volk sollte kommenden Samstag im zweiten Wahlgang zwischen einer neuen Amtszeit Präsident Hamid Karzais oder seiner Ablösung durch Herausforderer Abdullah Abdullah entscheiden. Danach sollte endlich eine legitime Regierung stehen, die das Land stabilisiert und der Bevölkerung dient.
Abdullah: Keine transparente Wahl
Doch daraus wird nun nichts. Der ehemalige Außenminister Abdullah Abdullah hat gestern seine Kandidatur für die Wahl abgesagt. Nachdem der erste Wahlgang im August bereits von zahlreichen
Wahlmanipulationen überschattet worden war und sich die Unabhängige Wahlkommission (IEC) der Parteilichkeit verdächtig gemacht hatte, zog der wichtigste Herausforderer Präsident Karzais seine
Kandidatur zurück.
"Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht," sagte der ehemalige Außenminister Abdullah, "aber aus Protest gegen die Regierung und die Unabhängige Wahlkommission werde ich nicht zu
den Stichwahlen antreten." Abdullah hatte den Rücktritt des Leiters der Unabhängigen Wahlkommission sowie von drei Ministern gefordert, die in Wahlmanipulationen verwickelt gewesen sein sollen.
Sein Katalog mit Minimalforderungen an eine freie und faire Wahlen, war jedoch von der afghanischen Führung ignoriert worden - jetzt zog er die Konsequenzen. "Eine transparente Wahl ist so nicht
möglich. Es ist im besten Interesse meiner Nation, wenn ich nicht kandidiere."
Abstimmung ohne Gegenkandidaten
Zu einem Boykott der Wahl rief Abdullah jedoch nicht auf und mahnte seine Anhänger, von gewaltsamen Demonstrationen abzusehen. Ein Sprecher Hamid Karzais kündigte an, die Wahlen trotzdem
ausrichten zu wollen. Ob die Abstimmung ohne Gegenkandidaten ablaufen kann, ist jedoch ungewiss. Die afghanische Verfassung sieht einen derartigen Fall nicht vor. Daud Ali Nadschafi, Sprecher
der Unabhängigen Wahlkommission, teilte mit, die Wahl werde schon deshalb stattfinden, weil die Frist für einen Rückzug abgelaufen sei. Der Leiter der Kommission, Asisullah Ludin, kündigte jedoch
an, erstmal Rücksprache mit dem Verfassungsgericht halten zu wollen.
Die schweren Unregelmäßigkeiten beim ersten Wahlgang, die kurzfristige Entscheidung für eine Stichwahl, der einsetzende Winter, die prekäre Sicherheitslage und das mangelnde Interesse der
Wähler hatten den 7. November bereits schwer belastet. Große Teile der Bevölkerung haben ihre Hoffnung auf eine demokratisch gewählte, stabile und handlungsfähige Regierung verloren. Doch
Abdullahs Rückzug öffnet nun eine neue Chance auf eine Einheitsregierung, der bislang nur Präsident Karzai im Weg stand.
Amerika bleibt gelassen
Der britische Premierminister Gordon Brown deutete den Rückzug Abdullahs den Druck auf Präsident Karzai noch einmal zu erhöhen. Am Samstag soll es in Gesprächen fast zu einem Durchbruch
gekommen sein. Am Sonntag habe Brown mit Präsident Karzai telefoniert, der nun ein Einigkeitsmanifest vorbereite. Auch Abdullah ließ die Tür für weitere Gespräche mit Präsident Karzai offen.
Die amerikanische Regierung reagierte gelassen. Präsident Obamas Sprecher, David Axelrod, bezeichnete Abdullahs Schritt als vernünftig und nicht hoffnungslos. Außenministerin Hillary
Clinton sagte: "Wir hoffen, dass Herr Abdullah sich weiterhin für den nationalen Dialog engagieren und an der Sicherheit und dem Wohlstand für das afghanische Volk arbeiten wird."
In der ersten Wahlrunde hatte Abdullah etwa zwanzig Prozentpunkte hinter Präsident Karzai gelegen, so dass seine Chancen für einen Sieg bei der Stichwahl gering waren. Der Rückzug von den
Wahlen stürzt Afghanistan nicht ins Chaos, wie vielfach zu lesen ist. Vielmehr erhöht Abdullah damit den Druck auf Präsident Karzai und bringt den Wunsch der Mehrheit der Afghanen zum Ausdruck.
Präsident Obama, der sich seit Wochen vor der Entscheidung über eine Erhöhung der amerikanischen Truppen in Afghanistan drückt, weil er die die Stichwahl abwarten wollte, kann nun beide
Themen wieder voneinander trennen. Afghanistan steht an einem wichtigen Wendepunkt. Eine Einheitsregierung aus Karzai und Abdullah sowie ein verstärktes Engagement der internationalen
Gemeinschaft könnten Afghanistan endlich und endgültig aus der Krise führen - und auch die nächsten Wahlen besser vorbereiten.
arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.