"Im Irak konnten wir auch deshalb erfolgreich sein", so der amerikanische Präsident Barack Obama, "weil wir Leuten die Hand ausgestreckt haben, von denen wir zuvor ausgegangen waren, dass sie islamistische Fundamentalisten sind." Nun überlegt der amerikanische Präsident, "ob es nicht ähnliche Möglichkeiten in Afghanistan oder Pakistan gibt." Dabei räumt er jedoch ein, dass die Gespräche in Afghanistan weitaus schwieriger sein würden und die Lage wesentlich komplizierter sei, denn so Obama: "Die Region verfügt über weniger entwickelte Strukturen."
Kein Durchbruch am Hindukusch
Acht Jahre nach den Anschlägen vom 11. September und dem Beginn der Befreiung Afghanistans von den Taliban will der amerikanische Präsident also verhandeln, das intensivierte militärische Engagement durch Gespräche mit moderaten Taliban flankieren. Denn noch immer steht die Internationale Schutztruppe (Isaf) nicht vor einem Durchbruch am Hindukusch. Ganz im Gegenteil, die Kämpfe haben zugenommen, erste Erfolge bei der Stabilisierung und dem Wiederaufbau sind durch die Taliban wieder zu Nichte gemacht worden.
Auf die Verstärkung der internationalen Schutztruppe haben die Taliban mit einer neuen Offensive reagiert. Die vom Westen unterstützte Regierung von Präsident Harmid Karzai steht in der
Kritik, selbst die Hauptstadt Kabul kann sie nicht schützen und verstrickt sich immer tiefer in Korruption. Die afghanische Bevölkerung steht zwischen den Fronten und kann nur wenig Fortschritt
feststellen. Gerade bei desillusionierten jungen Männern verzeichnen die Taliban wieder großen Zulauf.
"Ein militärischer Durchbruch in Afghanistan ist unrealistisch," sagt der britische Brigadegeneral Mark Carleton-Smith, "es geht nur noch um eine Reduzierung der Aufstände auf ein Level,
dass die afghanische Armee dann allein managen kann." Carleton-Smith kommandierte eine Luftbrigade, die im Süden des Landes gekämpft hat. Seine Regierung hat von Anfang an Gespräche mit einzelnen
Taliban auf lokaler Ebene geführt - teilweise mit Erfolg. Nun schwenkt der amerikanische Präsident auf diese Linie ein. Bedingung ist, dass die Aufständischen sich von al-Quaida lösen.
Rebellen mit unterschiedlichen Motiven
"Gespräche dienen nicht mehr nur als rein taktische Maßnahme zur lokalen Aufstandsbekämpfung," so Citha Maaß von der Stiftung Wissenschaft und Politik, "vielmehr sollen sie die militärische
Komponente der neuen US-Stabilisierungsstrategie durch eine politische Dimension ergänzen." Die Aufständischen in der Region bestehen aus vier Gruppen, erstens al-Quaida Kämpfern, zweitens
kaschmirisch-pakistanischen Gruppen, die vor allem gegen indische Ziele vorgehen; drittens pakistanischen Taliban mit paschtunischem Ursprung, die gegen die pakistanische Regierung kämpfen und
viertens afghanischen Taliban, die zwar mit den drei anderen Gruppen vernetzt sind, jedoch intern sehr unterschiedlich und zerstritten.
Einzig an die afghanischen Taliban richtet sich das Gesprächsangebot Obamas. "Zu ihnen wird eine Gruppe ganz unterschiedlicher oppositioneller militanter Kräfte unter Führung Mullah Omars
gerechnet," so Afghanistan-Expertin Cithia Maaß, "darunter Ex-Mujahedin, eigenmächtige paschtunische Stammesführer, Drogenbarone und einfache Kämpfer, die sich aus wirtschaftlicher Not
rekrutieren lassen." Die wenigsten von ihnen gehören direkt al-Quaida an, vielmehr fordern sie ein Ende von Korruption, Misswirtschaft und Chaos. Der amerikanische Vize-Präsident Joe Biden
schätzt die uneinsichtigen Taliban auf weniger als fünf Prozent.
Für den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai sind diejenigen Taliban moderat, die die Waffen niederlegen und auf die Verfassung schwören. Karzai führt schon seit längerem Gespräche, eine
von ihm einberufene Versöhnungskommission will zahlreiche Kämpfer zum Seitenwechsel veranlassen. Präsident Karzai begrüßt Obamas Strategiewechsel.
Citha Maaß berät derzeit die deutsche Botschaft in Afghanistan, sie rät, wirtschaftliche Anreize zu schaffen und Sicherheitsgarantien zu gewährleisten. "Ergänzend sollten gezielte
Entwicklungsmaßnahmen ergriffen werden," so Maaß, "denn die Frustration über lokale Missstände hat häufig erst zur Unterstützung für die Taliban und zur Rekrutierung von Kämpfern geführt."
Politischer Preis ist entscheidend
"Wir sollten uns keine Sorgen machen," so derbritische Brigade-General Carleton-Smith, "wenn die Taliban bereit sind, mit uns an einem Tisch zu sitzen und über eine politische Lösung der
Probleme zu verhandeln, dann ist dies das typische Ende von einem Aufstand." Mit Mullah Omar werden derzeit inoffizielle Gespräche unter Vermittlung Saudi-Arabiens geführt. Zwar hatte Omar das
amerikanische Gesprächsangebot erst einmal lautstark abgelehnt und unrealistische Vorbedingungen gestellt, entsandte dann jedoch hochrangige Vertreter zu den Verhandlungen. Am Ende ist
entscheidend, welchen politischen Preis beide Seiten zu zahlen bereit sind. Lösen sich die afghanischen Taliban von al-Quaida, lassen von Gewalt und Fundamentalismus ab, wären auch die
internationale Gemeinschaft, allen voran der afghanische Präsident und die Regierungen in den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien, dazu bereit, ihnen politische Teilhabe zu
ermöglichen.
Die afghanische Bevölkerung muss allerdings versichert werden, dass es keine Rückkehr zu einer uneingeschränkten Herrschaft der Taliban geben wird. Ihre bitteren Erfahrungen dürfen sich
nicht wiederholen. Citha Maaß geht davon aus, dass "wir in dieser Generation keine Demokratie in Afghanistan aufbauen werden." Sie beharrt jedoch darauf, sich nicht von den Zielen Frieden,
Stabilität und Rechtstaatlichkeit zu verabschieden.
arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.