Bullmann: „Wo jemand auf der Flucht ist, muss Europa die Hand reichen“
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Udo Bullmann, welches Signal wird gesetzt, wenn private Rettungsschiffe am Auslaufen gehindert werden – wie zuletzt die Aquarius 2?
Die Streichung der Registrierung der Aquarius ist unmenschlich, unverantwortlich und beschämend. Es ist ein erneutes eklatantes Beispiel dafür, dass Menschlichkeit missachtet wird – und im Übrigen auch die internationalen Regeln zur Rettung von bedrohten Menschen auf See. Sehenden Auges, voller Absicht. Ich sehe hier einen Zynismus wachsen, der nicht zu Europa passt. Vermeintliches Eigeninteresse wird in Gegensatz zu unseren gemeinsamen europäischen Werten gestellt. Wir dürfen das nicht akzeptieren.
Das Signal soll ja wohl sein: Wir bleiben hart, wir zwingen den Rest Europas zur Aufnahme der betroffenen Menschen. Mag sein, dass das im eigenen Land erst mal bei manchen gut ankommt. Aber so entsteht nicht wirklich Gemeinsamkeit, so vertieft man die Spaltung. Das Signal ist Ignoranz als Prinzip. Es ist genau das Gegenteil dessen, was wir brauchen.
Wie bewerteten Sie die private Seenotrettung generell?
Menschen, die sich für die Rettung anderer einsetzen, stehen für unsere gemeinsamen Werte ein, für Humanität und Hilfe. Ich halte es für grundfalsch, sie für die Situation verantwortlich zu machen, in der sie sich engagieren. Das dreht Ursache und Wirkung um. Na klar: Wir müssen endlich eine konsequente und transparente europäische Flüchtlingspolitik verabreden, die den Schleppern keine Chance mehr gibt. Wir müssen helfen, den Menschen in ihren Herkunftsländern Perspektiven zu öffnen, und wir müssen legale Wege nach Europa öffnen. Aber da, wo jemand aus Angst um Leib und Leben auf der Flucht ist, muss Europa die Hand reichen. Das ist der Kern unseres Verständnisses von Asyl als einem Menschenrecht für Bedrohte. Es ist und bleibt inhuman, Menschen ertrinken zu lassen, um dadurch angeblich andere abzuschrecken, sich aufs Meer zu wagen. Wir alle haben hier eine menschliche Verantwortung und ich habe deshalb hohen Respekt vor privaten Seenotrettern.
Meine Fraktion ist bei dieser Thematik übrigens sehr deutlich positioniert: Wir haben die NGOs, die sich auf hoher See zur Rettung von Menschenleben einsetzen, dieses Jahr für den Sacharow-Preis* des Europaparlaments nominiert.
Sie bezeichnen die gegenwärtige Situation als Schande für die EU. Welche Alternativen sehen Sie, wie müssten „gemeinsame und wirksame internationale Such- und Rettungsregeln im Mittelmeerraum“ denn konkret aussehen?
Sie müssten sich an den vorhandenen internationalen Regeln orientieren – und ich denke, dass ein europäischer Grenzschutz dabei aktiv eine eigene Rolle haben muss. Er kann nicht nur zur Abwehr von Menschen da sein, sondern er muss auch selbst eingreifen, wo Menschen in Not sind. Er muss das Meer möglichst lückenlos überwachen, damit wir wissen, wer wo unterwegs ist. Und es sollte auch feste Absprachen mit den nordafrikanischen Ländern geben, wer im Einzelfall – je nach Lage – wie reagieren muss. Da sind mir die Gesprächsergebnisse bislang viel zu mager. Die wichtigste Regel aber muss sein: Menschen in Not bekommen Hilfe.
Das ist nicht nur ein Thema für einzelne betroffene Länder, sondern für alle. Die EU insgesamt muss diese praktischen Fragen mit höchster Priorität anpacken. Wir brauchen Regeln, die mit unseren Werten vereinbar sind. Und die Behinderung von Rettungsschiffen muss sofort aufhören. Ich appelliere insbesondere an die italienische Regierung, diesen Verrat an den europäischen Werten zu stoppen.
* Der Sacharow-Preis für geistige Freiheit wird seit 1988 vom Europäischen Parlament an Persönlichkeiten oder Organisationen verliehen, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit einsetzen. Der Preis ist nach dem Friedensnobelpreisträger Andrei Sacharow benannt und mit 50.000 Euro dotiert.