International

Brüssel: Wenn Terror zum Alltag wird

Refreshen, Warten, Hoffen. Was der Terror mit uns macht, vor allem mit jungen Europäerinnen und Europäern – ein Erklärungsversuch.
von · 22. März 2016

Ein anderer Tag, ein anderer Anschlag. Das ist seit einigen Monaten auch in Europa Realität. Hektisches Refreshen von Facebook und Twitter, Nachschauen, ob es Bekannten und Freunden am Ort des Anschlags gut geht. Das ist seit einigen Monaten auch meine Realität. Während der Anschläge in Paris im November 2015 wartete ich die halbe Nacht darauf, dass Pariser Freunde sich über das von Facebook eingerichtete Tool als „sicher“ markierten. Einige taten es bis zum Morgen nicht – weil sie unterwegs waren, weil sie gar nicht wussten, dass es so ein Tool gab. Ich saß vor dem Fernseher und malte mir das Schlimmste aus. Auch für Brüssel hat Facebook nun ein dementsprechendes Tool eingerichtet: „XX wurde während Explosionen in Brüssel als ‚In Sicherheit‘ markiert“, steht auf meinem Bildschirm. Explosionen. Noch ist nicht von „Anschlägen“ die Rede.

Refresh. Eine dritte Explosion an der Métro-Station Schuman? Dementiert.

„Kenne ich da wen?“

In meiner Familie macht man sich Sorgen um mich. „Julia lebt ja in Berlin, da kann auch ein Terroranschlag passieren.“ Kann. Aber muss? Die Wahrheit ist: Ein Terroranschlag kann in Deutschland überall passieren. Auch im Ruhrgebiet, meiner Heimat, wo meine Familie sitzt und sich sorgt. Manchmal glaube ich, es kann gar nicht mehr schlimmer werden. Dass ich mich gar nicht mehr schlechter fühlen kann als nach „Charlie Hebdo“, dem 13. November, den Anschlägen in der Türkei. Seit Monaten mache ich mir Sorgen um meine Freunde und Bekannten dort, seit Monaten fängt mein Herz an zu rasen, wenn ich eine verdächtige Nachricht in den Medien sehe. Ein Terroranschlag? Wo? Kenne ich da wen?

Refresh. Auf Twitter nutzen viele den Hashtag #brussels, um gegen Flüchtlinge, Muslime, Angela Merkels Politik zu hetzen. Andere antworten mit #notmytwitter – sie wollen Informationen, keine rassistischen und politischen Aussagen.

Gefühl des Terrors

Eine französische Freundin von mir sagt, man könne dieses Gefühl des Terrors nur verstehen, wenn man selber Terror erlebt habe. Nach „Charlie Hebdo“, so sagt sie, seien die Deutschen ihr kalt vorgekommen – solidarisch zwar, aber sie selber seien eben nicht direkt betroffen gewesen. Ich verstehe, was sie meint, und dann wiederum auch nicht. Als der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ passierte, saß ich in der Redaktion des Magazins, für welches ich damals arbeitete. Ich tippte einen Artikel, ein Kollege sagte: „Anschlag in Paris. Irgend so ein Satire-Magazin. Charlie irgendwas?“ Bei mir läuteten sämtliche Alarmglocken. „Charlie Hebdo? Scheiße.“ Ich hatte Angst. Viele meiner Freunde in Paris sind Journalisten. Was, wenn gerade einer von denen in der Redaktion von „Charlie Hebdo“ ist, ein Interview mit einem der Karikaturisten macht? Meine Kollegen in der Redaktion legten sofort los. Wen kann man anrufen, wer schreibt einen Artikel? Ich saß vor meinem PC und konnte nicht schreiben. Zwei Tage lang. Ich denke an die Worte meiner französischen Freundin. „Da steckste nicht drin“, sagt man. Da steckste tatsächlich nicht drin, wenn niemand, den du kennst, drin steckt. Oder drin stecken könnte. Oder so ähnlich.

Refresh. Nun wird offiziell von „Anschlägen“ und „Terror“ gesprochen. Auf Twitter sind Videos sehr angesagt, die die Explosion in der Métro und am Flughafen zeigen. „Mal abwarten, wann die Ersten ihr Facebook-Profilbild gegen die belgische Flagge eintauschen“, sagt ein Kollege.

Europa ist kaputt

Ich gehöre zur sogenannten „Erasmus-Generation“. Wir sind europäisch, wir haben im Ausland studiert, nationale Grenzen sind für uns dank Schengen nicht-existent. Wir sind es gewohnt, in eine andere europäische Stadt zu kommen und dort Menschen in unserem Alter zu kennen. Wenn schon keine Freunde, dann zumindest Bekannte, Freunde von Freunden. Es ist nicht so, dass uns nationale Identitäten egal sind – wenn ich auf Franzosen, Italiener, Ungarn treffe, bin ich gerne auch mal „die Deutsche“: „Na, Julia, wie ist das in Deutschland so?“ Und trotzdem fühlen wir uns als Europäerinnen und Europäer und deshalb trifft uns der Terror der letzten Monate so – zumindest ist das mein Eindruck. Das hat sich vor allem in Paris gezeigt, wo am 13. November im Bataclan so viele junge Menschen niedergemetzelt wurden. Menschen, die so alt waren wie ich, und die sich nur ein Konzert angucken, Spaß haben wollten. Es sind vor allem junge Männer (aber auch Frauen), die sich dem sogenannten „Islamischen Staat“ anschließen, die sich in die Luft sprengen und dabei andere mit in den Tod reißen.

Refresh. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hält eine emotionale Rede. Politiker verurteilen den Anschlag. Terrorexperten auf allen Kanälen. Eine belgische Facebook-Freundin von mir, die in Brüssel gelebt hat und nun in Istanbul wohnt, schreibt: „Fucking, stupid, heartbreaking world. Now both of my homes are broken.“

Es fühlt sich so an, als sei ganz Europa broken. Kaputt.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare