Appell an Macron: Zehntausende demonstrieren gegen Gewalt an Frauen
Zehntausende Menschen haben am Wochenende in Paris, Rom und Brüssel demonstriert, um mehr Aufmerksamkeit auf die alltägliche Gewalt gegen Frauen zu lenken. Die Stadtzentren der drei Metropolen waren vorübergehend lahmgelegt, so groß war die Beteiligung.
Größte Demonstration des Jahres
Allein in Paris demonstrierten weit über 50.000 Menschen: Es waren die größten Manifestationen des Jahres – deutlich größer, als alles was die gilets jaunes, die Gelbwesten, je auf die Beine haben stellen können. Das Thema Gewalt gegen Frauen nimmt in der Öffentlichkeit, ganz anders als in Deutschland, großen Raum ein. Kurz vor dem „internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ forderten die Demonstrantinnen konkrete Handlungen von der Regierung Macron. Denn die Zahl der Frauen, die von ihren Männern oder Ex-Partnern ermordet werden bleibt in Frankreich – wie auch in Deutschland – Jahr für Jahr nahezu gleich.
Statistisch gesehen versucht jeden Tag ein Mann, seine Frau zu töten. An jedem dritten Tag gelingt es. Das gilt für Frankreich; das gilt in Italien; das ist so in Deutschland. In Frankreich starben im vergangenen Jahr mindestens 121 Frauen durch die Hand ihrer Männer, in Deutschland ähnlich viele. Darüber hinaus wurden in Deutschland etwa 450 Menschen Opfer von versuchtem Mord oder Totschlag. Dazu kommen weit über 120.000 Fälle von häuslicher Gewalt, von psychischer Nötigung über brutale Schläge und Körperverletzungen bis zu Vergewaltigung und Zwangsprostitution. Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Kriminalwissenschaftler sind überzeugt, dass maximal 20 Prozent aller Fälle überhaupt zur Anzeige gebracht werden. Egal in welchem Land.
Macron wollte schon vor zwei Jahren handeln
Um es noch deutlicher zu machen: Die Zahl ist höher als die, der gemeldeten Wohnungseinbrüche. Jedes Jahr. Nur die Aufregung darüber, die bleibt geringer. Warum eigentlich? In Frankreich scheint sich das gerade zu ändern, nimmt man die Demonstration des Wochenendes zum Anzeiger. Die Frauen machen Druck, erwarten, dass die Politik handelt. Bereits vor zwei Jahren hatte Präsident Macron anlässlich des „internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen“ angekündigt, mehr unternehmen zu wollen und zusätzlich eine knappe halbe Milliarde pro Jahr für den entsprechenden Etat versprochen, für mehr spezialisierte Polizisten, mehr Sensibilisierung für die Problematik, mehr konkrete Unterstützung für Opfer von Gewalt.
Doch die Summe wurde nie erreicht. Im September dieses Jahres wurde der Präsident Zeuge, wie die Realität sich weiterhin darstellt. Inkognito musste er bei der zentralen Notrufstelle mithören, wie ein Polizist sich gesetzeswidrig weigerte, eine Frau in Todesangst vor ihrem Ehemann, nach Hause zu begleiten und zu schützen. Auf Macrons Frage, ob so etwas häufig vorkomme, antwortete die Frau am Hotline-Hilfstelefon: „Ja, und immer öfter.“
Gelbwesten medial präsenter
Schon 2018 hatten am Tag gegen Gewalt an Frauen 30.000 Menschen in Paris demonstriert. In die französischen Medien haben sie es damals nicht geschafft; denn die waren vollauf beschäftigt mit 8.000 Gelbwesten, die zeitgleich demonstrierten. Die 30.000 Frauen waren friedlich – die Gelbwesten nicht. Am vergangenen Wochenende haben die Frauen den Druck, dass etwas passieren soll unter dem Motto Noustoutes, französisch für metoo/wiralle, noch einmal erhöht. Ihr Vertrauen, dass Ministerpräsident Édouard Philippe in seiner gemeinsam mit der zuständigen Staatssekretärin Marlène Schiappa für heute angekündigten Gesetzesinitiative tatsächlich etwas Substantielles auf die Beine bringt, ist eher gering.
Anders in Deutschland, wo Bundesfrauenministerin Franziska Giffey am Montag die Initiative „Stärker als Gewalt“ vorgestellt hat. Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland nicht weniger verbreitet als in Frankreich. Die Zahl der Morde an Ehefrauen und Ex-Partnerinnen ist nicht rückläufig. Der Begriff „Femizid“ für diesen sexistisch motivierten Mord an Frauen ist weder politisch noch juristisch in Gebrauch. Von den 21.400 qua Gesetz vorgeschriebenen Plätzen in Frauenhäusern stehen de facto nur 9.600 zur Verfügung.