International

Afghanistan: Schrittweise Normalität erreichen

von Niels Annen · 10. Oktober 2008
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Am Dienstag wurde den Mitgliedern des Deutschen Bundestags der Antrag der Bundesregierung zur Verlängerung des ISAF-Mandats vorgelegt. Wie die Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion werde ich diesem Antrag in der kommenden Woche zustimmen. Die große Verantwortung, die wir damit übernehmen, ist mir bewusst und wird mir in den zahlreichen Anrufen, E-Mails und Bürgerbriefen, die mich seit Monaten zum Thema Afghanistan erreichen, auch immer wieder in Erinnerung gerufen.

Diese Verantwortung erstreckt sich nicht nur auf die Sicherheit der Soldaten und des zivilen Personals, die sich für den Wiederaufbau und die Stabilisierung Afghanistan einsetzen, sondern auch auf die afghanische Bevölkerung. Denn die internationale Gemeinschaft hat mit dem Einsatz für Stabilität und Wiederaufbau im Land der expliziten Aufforderung der afghanischen Repräsentanten entsprochen, die 2001 auf dem Bonner Petersberg zusammengekommen waren. Wir haben damals eine langfristige Verpflichtung übernommen, die weit über die Bekämpfung des Terrorismus hinausgeht, denn die Afghaninnen und Afghanen knüpfen daran ihre Hoffnung, wieder ein selbstbestimmtes Leben in Sicherheit und unter Achtung der universalen Menschenrechte zu führen.

Anpassung der Strategie an regionale Rahmenbedingungen


Immer wieder wird mir in Diskussionen entgegengehalten, dass die bisherige internationale Afghanistan-Strategie nicht erfolgreich und deshalb ein Strategie- und Prioritätenwechsel notwendig sei. Die Anpassung der Strategie an die jeweiligen lokalen und regionalen Rahmenbedingungen geschieht ohnehin kontinuierlich durch die jährliche Aktualisierung des Afghanistan-Konzepts der Bundesregierung. Doch müssen wir uns auch immer wieder das Ausmaß der Herausforderung vor Augen rufen: Wir haben uns die Hilfe zum Wiederaufbau eines Landes auf die Fahne geschrieben, das 25 Jahre Bürgerkrieg erlebt hat, dessen Bevölkerung aber zu 68 Prozent sogar noch jünger als 25 Jahre ist. Einer ganzen Generation erstmals Zugang zu Bildung zu ermöglichen und Zukunftsperspektiven auf dem Arbeitsmarkt aufzubauen, ist keine Aufgabe, die sich binnen weniger Jahren bewerkstelligen lässt.

Mit der Ankündigung von Außenminister Steinmeier, die KSK aus der "Operation Enduring Freedom" zurückzuziehen, wird auch deutlich, dass diese Form des militärischen Vorgehens von uns nicht weiter mitgetragen werden kann. Mit der Beendigung der deutschen Beteiligung am US-geführten Anti-Terrorkampf in Afghanistan wird eine zentrale Forderung des SPD-Bundesparteitags erfüllt. Dieser Schritt ist konsequent und doch mutig, denn er stößt nicht nur beim Koalitionspartner, sondern auch bei einigen Bündnispartnern auf Widerspruch. Außenminister Steinmeier gilt dafür unsere Anerkennung.

Ein Schritt, den militärischen Endstatus zu erreichen


Immer wieder wird eine "exit strategy" aus der militärischen Intervention gefordert. Meines Erachtens ist die Aufstockung des Bundeswehrmandats für Afghanistan um 1000 Soldaten kein Schritt in Richtung einer Militarisierung, sondern ein Schritt, um den für einen Abzug der Truppen nötigen politischen und militärischen Endstatus schneller zu erreichen. Denn durch die Aufstockung kann sich die Bundeswehr verstärkt der Ausbildung der afghanischen Armee widmen, damit diese ohne externe Unterstützung Sicherheit im Land gewährleisten kann. Solange dies nicht der Fall ist, wird es auch Aufgabe der Bundeswehr sein, die für 2009 anstehende Präsidentschaftswahl abzusichern. Auch dabei wird uns die Aufstockung des Mandats helfen.

Für nicht zielführend halte ich daher zu diesem Zeitpunkt die Forderung nach einem kompletten und sofortigen Abzug aller Streitkräfte aus Afghanistan. Diese Option erfüllt die Mehrheit der Afghanen mit großer Sorge und entspricht auch nicht dem Wunsch der Entwicklungs- und Friedensorganisationen, die sich in Afghanistan engagieren. Medico International bezeichnete es im Neuen Deutschland als "Illusion", wenn man meinte, "die Truppen gehen morgen heim, wir geben Geld ins Zivile hinein, und alles wird dann prima" (Katja Maurer, 28.6.2008).

Dieser Einschätzung schließe ich mich an und betone gleichzeitig, dass wir unsere Anstrengungen im zivilen Bereich auf immer höherem Niveau fortsetzen müssen. Die von den Afghanen selbst entwickelte "Nationale Entwicklungsstrategie" bietet uns dafür die Richtschnur, zu deren Realisierung wir einen langen Atem benötigen. Um Verständnis dafür werben wir sowohl in Afghanistan als auch in Deutschland.

Autor*in
Niels Annen
Niels Annen
Niels Annen ist seit 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Zuvor war er vier Jahre Staatsminister im Auswärtigen Amt. 
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