Zwei SPD-Abgeordnete kämpfen für mehr Frauenrechte
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Ulla Schmidt, Elisabeth Kaiser, wir feiern 100 Jahre aktives und passives Frauenwahlrecht. Erinnern Sie sich noch daran, wie es war, als Sie das erste Mal gewählt wurden? Bei Ihnen, Elisabeth Kaiser, ist das ja noch gar nicht so lange her: Sie sitzen seit 2017 im Bundestag.
Elisabeth Kaiser: Für mich hat das „gewählt werden“ schon mit dem Listenplatz angefangen, weil man in Thüringen vor allem so in den Bundestag kommt. Ich habe zwar schon erfolgreich für Parteifunktionen und den Stadtrat kandidiert, aber jetzt ging es um ein Fulltime-Mandat. Die größte Herausforderung war für mich also der Vorwahlkampf, weil es darum ging, die eigenen Leute zu überzeugen. Nach der Bundestagswahl war ich eher überwältigt – wegen der Herausforderungen, die auf mich warteten. Mein erstes Gefühl war großer Respekt vor meiner neuen Aufgabe, weil ich dachte: Was erwartet mich jetzt? Was kann ich tun? Als ich dann hier in Berlin war, dachte ich: Du kannst hier echt etwas machen, etwas mitgestalten.
Ulla Schmidt, wie war es bei Ihnen?
Ulla Schmidt: Ich habe mich zum ersten Mal 1972 in Aachen zur Wahl gestellt – das war ja die Willy-Wahl, einer der größten Erfolge für die SPD. Damals habe ich nicht für die SPD kandidiert, sondern als Unabhängige für den Kommunistischen Bund Westdeutschland. Ich hatte, glaube ich, ganze 187 Stimmen oder so! 1989 habe ich zum ersten Mal für den Rat der Stadt Aachen kandidiert und zum ersten Mal in meinem Wahlbezirk für die SPD die Mehrheit geholt. In den 1980ern haben wir Frauen in der SPD die Quote durchgesetzt, und als dann 1990 die Bundestagswahl anstand, habe ich gesagt: Jetzt müssen sich Frauen auch zur Wahl stellen! Also habe ich meinen Hut in den Ring geworfen.
Und mit der Kandidatur hat es dann sofort geklappt?
Schmidt: Naja, da waren natürlich erstmal drei Männer in meinem Ortsverein, die glaubten, sie könnten das besser. Ich habe trotzdem gewonnen, erst auf der Ortsvereinsebene und dann auf der Unterbezirksebene. Auch da hat ein Genosse gegen mich kandidiert, weil der glaubte, ich könnte vielleicht nicht so gut mit dem Kohl reden. Das war damals immer die Frage: Ob Frauen das können? Den Bundestagswahl-Listenplatz habe ich letztendlich bekommen, weil wir die Quote haben. Ich bin also als typische Quotenfrau in den Bundestag eingezogen – aber dann immer wieder aufgestellt worden.
Elisabeth Kaiser, sind Sie bei Ihrer Kandidatur auch auf Schwierigkeiten gestoßen?
Kaiser: Erstmal kam von älteren Genossen in Gera natürlich die Frage: Du bist noch so ein junges Ding, was willst du uns eigentlich erzählen? Wir machen hier seit der Wende Politik, haben die Partei aufgebaut! Sie haben meine Kandidatur nicht als Chance gesehen, aus Gera endlich mal wieder eine Bundestagsabgeordnete zu haben. Ich dachte, wenn ich ihnen meine Ideen und Pläne für den Wahlkampf vorstelle, machen die mit. Stattdessen hieß es: Nee, wir erzählen dir, wie das geht und nicht andersherum. Sobald wir aber zusammengekommen waren und sie den Eindruck hatten, dass sie mitentscheiden können, lief es gut. Sie haben auch schnell gemerkt, dass ich im Wahlkampf ganz schön gepowert habe und keine Allüren hatte. Am Ende war die Unterstützung vor Ort wirklich toll – bis heute.
Sie sind 2012 in die SPD eingetreten. Welche Erfahrung haben Sie da als junge Frau gemacht?
Kaiser: Sehr positive! Viele kannten mich noch aus meiner Hochschularbeit, ich habe in Potsdam die Gruppe der Friedrich-Ebert-Stiftung an der Uni geleitet. Ziemlich schnell wurde ich dann gefragt, ob ich nicht in den Ortsvereinsvorstand möchte. Da wurde nämlich schon darauf geachtet, dass dort auch Frauen vertreten sind. Ich bin schnell in Verantwortung gekommen und habe das auch bewusst gemacht, weil der Ortvereinsvorstand damals noch sehr männlich dominiert war.
Genauso wie der Bundestag: Der Frauenanteil beträgt nur 30,7 Prozent – so wenig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Ulla Schmidt, Sie sitzen seit 1990 im Bundestag. Was hat sich seitdem für Frauen in der Politik geändert?
Schmidt: Vieles. Wenn man sich damals als Frau für ein Parteiamt vorstellte oder kandidierte, hieß es immer: Was machst du mit deinen Kindern? Männer wurden sowas nicht gefragt. Im Bundestag sagte mir mal jemand: So hässlich sind Sie doch gar nicht, dass Sie in die Politik gehen müssen. Ich wurde auch gefragt: Du bist doch intelligent, warum machst du Frauenpolitik? Damals haben wir Frauen sehr stark fraktionsübergreifend zusammengearbeitet. Einfach weil der Druck da war, dass man für Frauen etwas erreichen musste. Wir haben gemeinsame Konferenzen organisiert, um beispielsweise 1994 Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes um die Staatszielbestimmung ergänzen zu können. Aus der Opposition heraus hat die SPD erreicht, dass Vergewaltigung in der Ehe als Straftat gilt – das ging nur, weil wir Bündnisse geschmiedet haben.
Elisabeth Kaiser, schmieden Sie auch parteiübergreifende Bündnisse mit anderen Parlamentarierinnen?
Kaiser: Wenn ich das jetzt so höre, finde ich es sehr schade, dass wir das eher nicht machen. Natürlich sucht man das Gespräch, auf Delegations- oder Ausschussreisen. Aber ein organisiertes, regelmäßiges Treffen unter Frauen gibt es nicht.
Seit 13 Jahren hat Deutschland eine Bundeskanzlerin. Sie sind Jahrgang 1987 und daher mehr oder weniger mit einer Kanzlerin Merkel aufgewachsen. Hat Sie das beeinflusst, persönlich und politisch?
Kaiser: So richtig kann ich das nicht sagen. Damals, als Merkel Kanzlerin geworden ist, waren mir die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, auch in der Politik, noch nicht so bewusst. Als Schülerin, als Studentin, habe ich mich gleich gefühlt mit meinen männlichen Mitschülern und Kommilitonen. Ich hatte das Gefühl, ich kann alles erreichen. Und deshalb dachte ich bei der Wahl Merkels wahrscheinlich: Klar, warum sollte eine Frau nicht Kanzlerin werden können. Ich habe das als selbstverständlich wahrgenommen. Bei uns zu Hause hat meine Mutter die Brötchen verdient, weil mein Vater ein Stück älter und bereits Rentner war. Ich hielt es also immer für normal, dass Frauen ihr Ding machen.
Ulla Schmidt, Sie haben gesagt, vieles hätte sich für Frauen in der Politik schon geändert. Wo stoßen Frauen dort heute noch auf Hindernisse?
Schmidt: Es ist immer noch so, dass die, die Verantwortung tragen, zunächst mal die Männer im Blick haben. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass man eine Frau vorne hat. Allerdings: Als ich im Kabinett Merkel war, hatte ich das Gefühl, dass es da keine Platzhirsche gab – ein klarer Unterschied zu einem Kabinett, in dem jemand wie Gerhard Schröder, Otto Schily oder Joschka Fischer saß. Und: Heute fragt zumindest keiner mehr, ob eine Frau Kanzler kann. Es hat sich eher umgekehrt. Als Martin Schulz letztes Jahr als Kanzlerkandidat antrat, fragte der Sohn einer Kollegin: Kann ein Mann das denn? Es gibt also einen Wandel. Als ich jung war, in Westdeutschland, wurde Frauen zwar Bildung zugestanden, aber eigentlich nur, damit sie die Kinder gut erziehen können. Es gab sogar den Hausfrauentag: Meine Mutter war berufstätig, aber ungefähr einmal im Monat hatte sie einen freien Tag, damit sie zu Hause putzen konnte.
Kaiser: In der DDR gingen Frauen zwar arbeiten, aber das Rollenmodell war das gleiche wie in Westdeutschland. Es waren die Frauen, die sich quasi nebenbei noch um den Haushalt und die Kindererziehung kümmern mussten. Vieles hat sich geändert, auch unsere Rollenvorstellungen – im Osten wie im Westen. In meiner Familie wundern sich einige ältere Verwandte aber schon, was ich so alles mache. Und von älteren Genossinnen kommt durchaus die Frage: Kannst du dir in deinem Alter nichts anderes vorstellen? So nach dem Motto: Politik kannst du ja machen, wenn du älter bist. Du willst ja vielleicht erstmal eine Familie gründen. Ich habe einen Stiefsohn, aber noch keine eigenen Kinder. Ich sehe mein Mandat aber auch nicht als Hindernis für eigene Kinder.
Trotz der immer noch zahlreich vorhandenen Herausforderungen für Frauen in der Politik: Warum werden sie dort gebraucht?
Schmidt: Ich bin davon fest überzeugt, dass das eine Frage der Demokratie ist. Frauen und Männer haben unterschiedliche Erfahrungen – und Demokratie kann nur dann funktionieren, wenn alle Erfahrungen einfließen. Die Gesellschaft wird dadurch menschlicher.
Kaiser: Das sehe ich auch so. Es ist ja oft so, dass die, die etwas verändern wollen, auch selber betroffen sind und umso mehr dafür kämpfen, dass sich etwas verändert. Das zeigt auch die Geschichte. Natürlich waren es Frauen, die für gleiche Rechte ihres Geschlechts kämpften. Nichtsdestotrotz finde ich es auch toll, dass es in der Gleichstellungspolitik viele engagierte Männer gibt.