"Schwarz-Gelb gefährdet die Energiewende", warnt Thorsten Schäfer Gümbel. Vor dem Energiesymposium der SPD am Mittwoch sprach der Leiter der Energiekommission mit dem vorwärts über den Atomausstieg und steigende Stromkosten.
Die Bundesregierung hat die AKW-Laufzeiten erst verlängert, dann den Ausstieg beschlossen. Ist sie überhaupt in der Lage, die Energiewende erfolgreich voranzutreiben?
Nein, im Gegenteil: Es gibt weder einen Masterplan noch sind die Zuständigkeiten geklärt. Deshalb fordern wir ein eigenständiges Energieministerium, und zwar nicht als Unterabteilung des Wirtschafts- oder des Umweltministeriums. Die Energiewende muss endlich von einer Hand gesteuert werden.
Ist der Atomausstieg bis 2022 zu schaffen oder müssen wir mit einer erneuten Laufzeitverlängerung rechnen?
Die schwarz-gelbe Regierung gefährdet mit ihrem Abstimmungschaos gerade den Atomausstieg. Grundsätzlich ist er aber möglich. Wenn wir die Erneuerbaren entsprechend ausbauen, auch früher. Unser Ziel muss klar sein, die Atomkraft aus dem Energiemix Deutschlands herauszunehmen.
Schwarz-Gelb will die Solarförderung kürzen. Mit welchen Folgen?
Was da passiert, ist grundfalsch. Damit fährt die Bundesregierung alle positiven Entwicklungen bei der Solarenergie vor die Wand. Die Subventionskürzungen sind gerade unter dem Stichwort Planungssicherheit verheerend. Das Energieeinspeise-Gesetz war eines der größten Konjunkturprogramme seit dem Marshallplan. Durch die Energiewende haben wir 370 000 Arbeitsplätze gefördert. Jetzt ist ein ganzer Wirtschaftszweig gefährdet.
Wie konsequent ist ein Atomausstieg, wenn die Bundesregierung weiter
am Vertrag der Europäischen Atomgemeinschaft zur Förderung der Kernenergie festhält?
Es ist längst klar, mit Schwarz-Gelb ist keine wirkliche Energiewende möglich. Für mich ist kaum nachvollziehbar, dass wir an anderen Standorten der Welt die Kernenergie fördern. Deswegen streiten wir um einen Politikwechsel, damit die Bundesregierung auch in Europa auf eine Energiewende dringt.
Für viele Verbraucher wird der Strom in diesen Monaten bis zu neun Prozent teurer. Wird Strom zum Luxus?
Nein, eine sozialdemokratische Herausforderung ist, dass Strom bezahlbar bleibt und nicht zur neuen sozialen Frage des 21. Jahrhunderts wird. Momentan gestalten vor allem die Stromanbieter RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall den Preis. Um endlich einen Wettbewerb sicherzustellen, müssen die Städte und Gemeinden zu den Trägern der Energiewende werden. Das heißt nicht, dass die Kilowattstunde am Ende nicht teurer wird. Aber durch Einsparmaßnahmen und die Umstellung können wir die
Preise in der Summe stabil halten.
Ist es fair, dass stromintensive Industrie bevorteilt wird und zum Beispiel keine Netzentgelte zahlt?
Grundsätzlich ist es richtig, dass wir für die energieintensiven Industrien Wettbewerbsverzerrungen vermeiden, um den Bestand nicht zu gefährden. Wir haben die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise nur deshalb gut überstanden, weil wir einen starken industriellen Kern haben. Im Übrigen ist er auch einer der Garanten für eine erfolgreiche Energiewende. Wir sollten allerdings diskutieren, wie diese Wettbewerbsverzerrung ausgeglichen werden kann.
Welche Möglichkeiten gibt es?
Möglich sind zum einen pauschale Entlastungen wie Steuervergünstigungen. Zum anderen ein so genannter Grenzkostenausgleich, um die Mehrkosten einer klimafreundlicheren Produktion zu reduzieren. Über beide Konzepte werden wir noch einmal nachzudenken haben.
Stichwort Energieeffizienz: Wo gibt es den größten Handlungsbedarf?
Hier geht es vor allem um Gebäude. Die energetische Sanierung von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden muss gesteigert werden. Im Bereich der Anlagentechnik ist es die Kraft-Wärme-Kopplung, die die Wirkungsgrade von Kraftwerken erhöht. Hier haben Effizienzfragen nach wie vor großes Entwicklungspotenzial.
Kritiker weisen darauf hin, dass die energetische Gebäudesanierung die Mieten in die Höhe treibe.
Das ist zwar in Teilen tatsächlich so, darf aber nicht zum Nachteil der Mieter werden. Deshalb setzen wir uns für Veränderungen im Mietrecht ein, was die Abrechnungsfähigkeit und die Veranlagung von energetischer Sanierung angeht. Ziel muss sein, dass die Bruttomiete nicht steigt, sich aber durch den geringeren Energieverbrauch gegebenenfalls die Anteile der Kalt- und Warmmiete verschieben. Um das zu erreichen, muss mehr saniert werden. Wenn sich aber alle drei Monate die Grundlagen für die Energiewende ändern, wundert es nicht, dass wir ein Investitionsklima haben, in dem sich viele Akteure verweigern.
Mehr Informationen zum Energiesymposium der SPD am 28. März 2012 im Berliner Willy-Brandt-Haus finden Sie unter www.spd.de
Chronik des Scheiterns
26. Oktober 2009
Im Koalitionsvertrag legen Union und FDP fest, die Laufzeiten der Atomkraftwerke als „Brückentechnologie“ zu verlängern.
28. Septbember 2010
Die Bundesregierung legt ihr Energiekonzept vor. Die AKW-Laufzeit wird darin um durchschnittlich 12 Jahre verlängert.
14. März 2011
Nach dem Atomunfall von Fukushima verkündet Bundeskanzlerin Merkel ein dreimonatiges Moratorium für die Verlängerung der AKW-Laufzeiten.
30. Mai 2011
Die Ethikkommission empfiehlt den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft binnen eines Jahrzehnts.
6. Juni 2011
Die Bundesregierung
beschließt, die Energiewende zu beschleunigen.
29. Februar 2012
Das Kabinett verkündet die Kürzung der Solarförderung um bis zu 30 Prozent.
ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.