Wer heute von Anstand, Sitte und Moral spricht, wird schnell in eine konservative Ecke gestellt. Doch Wickert hat ein anderes Verständnis vom Konservativen. Ein Blick in seinen weit
angelegten Überblick über die Spannung zwischen Ethik und kurzfristiger ökonomischer Rationalität weist in eine andere, ganz eigene Richtung.
Ulrich Wickerts Haltung ist sozialkritisch, aber von sozialer Sensibilität geprägt. Als konsequenter Republikaner greift er Auswüchse einer gierigen Zurichtung der Welt im Namen der wirtschaftlichen Freiheit an.
Das Primat der Ökonomie und seine Folgen
Eingangs fragt Wickert, warum ein Unternehmer ethisch handeln sollte, wenn ihn das ein Geschäft kostete. Eindeutig zeigt er, wie Unternehmer sich entscheiden: Materieller Gewinn geht fast immer vor, weil die herrschende Wirtschaftslehre das nun mal für die menschliche Natur hält. Die Folgen dieses Primats der Ökonomie füllen die einzelnen Kapitel von Ulrich Wickerts lesenswerter Streitschrift.
Es geht um Alltagsbeobachtungen, nicht Theorie. Das macht Wickerts jüngstes Buch leicht zugänglich und plastisch lesbar. Der leidenschaftliche Journalist liefert zahllose Beispiele für die Zerstörungskraft der Finanzmärkte. Doch für ihn bedeutet das nicht Ohnmacht, sondern konkrete Verhaltensänderung. Wirtschaftlicher Erfolg und Menschlichkeit müssen sich nicht ausschließen. Ganz lebenspraktisch sind Wickerts Beispiele für den Nutzen, den Menschen und Unternehmen aus Gemeinsinn ziehen können.
Sein Fazit: Zu individueller Freiheit gehört Sittlichkeit. Wer frei agieren will, sollte die Freiheit anderer beherzigen. Hier ist Wickert gar nicht altmodisch. Sein Plädoyer für Freiheit weist auf die Bedingung von Freiheit hin: nämlich Gerechtigkeit. Dem kann der Rezensent nur zustimmend folgen.
Ulrich Wickert: "Redet Geld, schweigt die Welt. Was uns Werte wert sein müssen", Hoffmann und Campe, Hamburg 2011, 205 Seiten, 19,99 Euro, ISBN978-3455502244