Zehn Jahre nach dem Fluchtsommer: Was wurde aus den Geflüchteten von 2015?
2015 und 2016 kamen mehr als eine Million Geflüchtete nach Deutschland, 2022 folgten mehr Schutzsuchende aus der Ukraine. Ein Überblick über einige wichtige Entwicklungen am Arbeitsmarkt, in der Bildung und der Gesellschaft.
imago images/Michael Weber
Als im Sommer 2015 hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland kamen, war die Solidarität hierzulande groß.
„Wir schaffen das“: Dieser Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 31. August 2015 ist berühmt geworden. Innerhalb weniger Monate kamen 2015 und 2016 mehr als eine Million Geflüchtete nach Deutschland – vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak –, um Schutz und Hilfe vor Krieg und Armut zu finden.
Geflüchtete im Arbeitsmarkt
Viele Geflüchtete haben in Deutschland Arbeit gefunden: Mittlerweile sind laut Mediendienst Integration rund 732.000 Personen sozialversicherungspflichtig oder geringfügig beschäftigt. Das sind zehn Mal so viele wie 2014 (70.000). Vor allem die erwerbsfähigen geflüchteten Männer arbeiten: 2024 hatten laut Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) 86 Prozent von ihnen einen Job.
Wie außerdem der Migrationsmonitor der Bundesagentur für Arbeit zeigt, arbeiten knapp 47 Prozent der Personen aus Asylherkunftsländern in Helferberufen, 41,1 Prozent als Fachkräfte, sieben Prozent werden als „Experten“ ausgewiesen.
Arbeitsmarkt-Integration von Frauen hinkt hinterher
Aber es ist bisher nicht gelungen, Frauen vergleichbar in den Arbeitsmarkt zu integrieren: Bei den weiblichen Geflüchteten liegt die Quote mit 33 Prozent deutlich niedriger. Wie verschiedene Studien zeigen, kümmern sich geflüchtete Frauen häufiger um den Haushalt und die Kinder, sprechen schlechter Deutsch und bringen auch weniger Berufserfahrung mit. In einem neuen Artikel des Magazins des IAB sehen die Autorinnen noch großes Potenzial, aber auch viele Herausforderungen: „Gezielte und frühzeitige Maßnahmen, unter anderem im Bereich Sprach- und Bildungserwerb, Arbeitsmarktberatung und Gesundheitsförderung, könnten dabei helfen, diese Hürden abzubauen und so die Arbeitsmarktintegration der Frauen zu fördern“, schreiben Tanja Fendel, Kseniia Gatskova und Laura Goßner.
Sie heben die Bedeutung sozialer Netzwerke hervor: Hier hätten sich Mentoring-Programme als gewinnbringend erwiesen. Sinnvoll erscheint ihnen auch, Plattformen zu fördern, die den Austausch von geflüchteten Frauen untereinander und vor allem mit der einheimischen Bevölkerung möglich machen. Darüber hinaus plädieren sie für einfachere Anerkennungsverfahren für ausländische Abschlüsse.
Bildung geflüchteter Kinder
Die Statistik zeigt, dass die Zahl geflüchteter Kinder an deutschen Schulen seit 2014 stark gestiegen ist. Damals gab es rund 34.000, im Jahr 2023 rund 370.000 geflüchtete Schüler*innen.
Die schnelle Aufnahme vieler geflüchteter Schüler ohne Deutschkenntnisse hat die Schulen in den Kommunen vor große Herausforderungen gestellt: In vielen Schulen gab es Willkommens- oder Vorbereitungsklassen, in denen sie zunächst Deutsch lernen sollten. Mittlerweile gehen einige Bundesländer anders vor und unterrichten die Schüler in Regelklassen mit separater Deutschförderung.
Über den Bildungserfolg der Kinder, die 2014/15 als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, liegen bisher kaum aussagekräftige Daten vor.
Kritik an separaten Klassen
Eine neue Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) hat die Daten von mehr als 1.000 Jugendlichen ausgewertet, insbesondere mit Blick auf deren Deutschkenntnisse. Das Ergebnis der Forschenden: Der Nutzen von Willkommensklassen ist beschränkt. Der „mangelnde Kontakt zu gleichaltrigen Nichtgeflüchteten ist offenbar auch ein Grund dafür, dass Willkommensklassen kaum zu einer Angleichung der Zweitsprachkenntnisse führen.“
Auch eine Studie im Auftrag des Mediendienstes Integration hatte 2022 gezeigt, dass Schüler*innen besser abschneiden, wenn sie in der Regelklasse unterrichtet werden, vor allem in Mathematik und Deutsch. Mitautor Oliver Winkler vom Institut für Soziologie der MLU leitet aus den Ergebnissen folgende Empfehlungen an die Politik ab: „Die Tendenz ist eindeutig: Eine möglichst schnelle Einschulung, eine rasche Integration in den Fachunterricht und ein sicherer Asylstatus sind gute Voraussetzungen für das Erlernen der deutschen Sprache. Insbesondere in den Grundschulen sollte auf separierende Vorbereitungsklassen verzichtet werden“, so Winkler.
Straftaten gegen Asylunterkünfte und Geflüchtete
Als 2025 hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland kamen, gab es nach Zahlen des Bundeskriminalamts zugleich auch mehr Angriffe auf Asylunterkünfte: von 203 Delikten im Jahr 2014 auf 1.051 Taten 2015. Auch 2016 blieb die Zahl hoch, in den folgenden Jahren gingen die Angriffe dann deutlich zurück. Flüchtlingsfeindliche Diskurse und Taten seien aber nie verschwunden, stellt der Mediendienst Integration fest. Seit 2022 nehmen demnach Straftaten gegen Asylunterkünfte wieder zu.
Die häufigsten Delikte seien Sachbeschädigungen und Propagandadelikte wie etwa Hakenkreuz-Graffiti. Auch die Zahl der Straftaten gegen Geflüchtete ist zuletzt wieder gestiegen: Von 1.243, dem tiefsten Stand seit 2016, auf 2.210 in 2024.
Politische Landschaft in Deutschland
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die politische Landschaft in Deutschland verändert. In Deutschland bekam die mindestens in Teilen rechtsextreme AfD bei der vergangenen Bundestagswahl 20,8 Prozent der Zweitstimmen – exakt doppelt so viel wie bei der vorletzten Wahl. Die wachsende demokratiefeindliche Einstellung hat die Hans-Böcker-Stiftung in einer Studie untersucht, die Anfang August 2025 veröffentlicht wurde.
Es ging darin auch darum, was AfD-Wählende am meisten bewegt: „Verteilungsfragen sind nicht die, die AfD-Wählende am meisten bewegen. Die Migration bleibt das Thema Nummer eins“, heißt es in einer Pressemitteilung. Besonders ausgeprägt sei die Ablehnung von Geflüchteten (und im übrigen auch von Bürgergeldbeziehenden) bei AfD-Wählenden, die das Gefühl haben, von der Gesellschaft „systematisch vernachlässigt“ zu werden – während andere „mehr bekommen, als sie verdienen“.
Hans-Böckler-Stiftung: Brauchen echte Alternativen statt Sündenböcke
Verkürzt gesagt spielen Ängste und soziale Verunsicherungen eine Rolle. Für Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI, sollte „die Antwort auf diese nachvollziehbare Verunsicherung ein positiver demokratischer Zukunftsentwurf sein, der die soziale Absicherung gerade der Personen, die von dem Wandel des Arbeitsmarktes besonders betroffen sind, in den Mittelpunkt stellt.“
Auch Studienautor Andreas Hövermann sieht einen „dringenden Bedarf nach hoffnungsstiftenden, positiven Zukunftsbildern unter Demokrat*innen“. Möglich sei es, dass von den notwendigen Investitionen in die soziale Infrastruktur auch das Signal eines Aufbruchs für eine positive Zukunftsvision ausgehe. Das sei „dringend nötig, um der Niedergangsrhetorik der AfD Gründe für Zuversicht entgegenzusetzen“, so der Forscher. „Es muss darum gehen, den Menschen echte Alternativen statt Sündenböcke anzubieten.“
Zuerst erschienen auf demo-online.de
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.