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Woran der NSU-Prozess kurz vor Ende noch scheitern könnte

Der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und Co. am Münchener Oberlandesgericht (OLG) nähert sich dem Ende, die Plädoyers haben bereits begonnen. Aber die Verteidigung versucht, mit einer Vielzahl von Befangenheitsanträgen das Verfahren zu torpedieren. Platzt der Prozess noch kurz vor Schluss?
von Christian Rath · 24. Oktober 2017
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Begonnen hat das Verfahren im Mai 2013, also vor mehr als vier Jahren. Hauptangeklagte ist Beate Zschäpe. Sie gilt als einzige Überlebende der Nazi-Terrorgruppe NSU, die für zehn Morde an Migranten und einer Polizistin verantwortlich gemacht wird. An diesem Dienstag fand der 384. Verhandlungstag statt.

Befangenheitsanträge bremsen das Verfahren aus

Ende Juli begannen endlich die Schlussplädoyers. Die Bundesanwaltschaft forderte für Zschäpe lebenslange Haft, die Feststellung einer besonderen Schwere der Schuld plus Sicherungsverwahrung. Auch für die vier mitangeklagten Helfer und Unterstützer forderte die Anklagebehörde lange Haftstrafen: für Ralf Wohlleben und André Eminger je zwölf Jahre, für Holger Gerlach fünf Jahre und Carsten Sch. drei Jahre.
 
Eigentlich wäre nun die Nebenklage mit ihren Plädoyers an der Reihe. Allerdings ist der Fortgang des Verfahrens schon seit Wochen durch eine Salve von Befangenheitsanträgen gehemmt. Verantwortlich sind dafür die Verteidiger von Eminger und Wohlleben. Bisher wurden alle Anträge abgelehnt. Prozessbeobachter gehen davon aus, dass das Gericht mit dieser Strategie zu Fehlern provoziert werden soll, die dann nach dem Urteil in der Revision angegriffen werden können.

Beim Gericht ist Vorsicht geboten

Das Gericht geht mit den Befangenheitsanträgen daher besonders vorsichtig um. So könnte es die Anträge zwar in normaler Besetzung als unzulässig ablehnen, wenn dadurch „offensichtlich das Verfahren nur verschleppt“ werden soll. Das sieht die Strafprozessordnung ausdrücklich vor. Sicherheitshalber hat der OLG-Senat unter Manfred Götzl aber noch nie von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Deshalb wird über alle Befangenheitsanträge im normalen Verfahren entschieden, das heißt: ohne den jeweils angegriffenen Richter.
 
Immerhin kann das Gericht laut Gesetz die Verhandlung auch bis zur Entscheidung über die Befangenheitsanträge fortführen, allerdings nur bis zum übernächsten Verhandlungstag oder bis zum Beginn der Plädoyers. Was aber gilt, wenn die Befangenheitsanträge erst während der Plädoyers gestellt werden? Das Gericht scheint auch hier den sicheren Weg zu wählen und beginnt nicht mit den Plädoyers der Nebenklage, bis über die Befangenheitsanträge entschieden wurde.

Richter Götzl verliert nicht den Überblick

Beachten muss das OLG dabei aber noch eine andere Regel der Strafprozessordnung: Wenn der Prozess länger als drei Wochen pausiert, muss er von vorn beginnen. Das will das Gericht nach vier Jahren natürlich unbedingt vermeiden. Es hat daher die Beweisaufnahme wieder eröffnet, einige Akteninhalte verlesen und rechtliche Hinweise gegeben. So konnten Verhandlungstermine stattfinden, ohne mit den Plädoyers der Nebenklage zu beginnen. Der Vorsitzende Richter Götzl hat das Verfahren nach wie vor im Griff und verliert nicht den Überblick.
 
Was aber passiert, wenn einer der Richter schwer krank wird? Platzt dann der Prozess? Auch hierfür hat das Gericht vorgesorgt. Neben dem Senat, der aus fünf Berufsrichtern besteht, waren von Beginn an auch drei Ergänzungsrichter dabei. Was anfangs etwas übervorsichtig wirkte, hat sich längst bewährt. In den vier vergangenen Jahren ging eine Richterin in den einstweiligen Ruhestand, eine andere wurde an den Bundesgerichtshof berufen. Jetzt ist also noch ein Ergänzungsrichter übrig. Das sollte genügen. Pensionierungen stehen in den nächsten Monaten keine an.

Kein Urteil mehr in diesem Jahr

In diesem Jahr wird das Verfahren keinesfalls zum Ende kommen. Bei den Plädoyers der Nebenklage wollen 47 Anwälte und Angehörige sprechen. Es wird mit einer Dauer von knapp sechzig Stunden gerechnet. Anschließend folgen die Plädoyers der Verteidigung und schließlich haben die fünf Angeklagten das letzte Wort. Wenn ansonsten alles glatt läuft, kann Anfang 2018 das Urteil verkündet werden.
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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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