Inland

Wirtschaftslobby kämpft um die Köpfe unserer Kinder

Die Arbeitgeber-Perspektive ist zweifellos wichtig für die ökonomische Bildung. Doch Unternehmen verbreiten zunehmend Unterrichtsmaterialien, die einseitig sind und wirtschaftswissenschaftliche Kontroversen einfach ausblenden. Die Politik sollte der Wirtschaftslobby nicht unsere Kinder überlassen.
von Till van Treeck · 29. März 2017
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Der Bundeswirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel wurde unlängst mit der Forderung zitiert, das Fach Ökonomische Bildung fest in Lehrplänen von Schulen zu verankern. Anlass war eine Jubiläumsfeier der Initiative „Wissensfabrik – Unternehmen für Deutschland“. Ziel der Initiative ist es, schon bei Kindern Interesse an Unternehmen zu wecken, zum Beispiel „indem sie selbst eines gründen und betreiben“. Der Vorsitzende des Lenkungskreises der „Wissensfabrik“ forderte auf der Jubiläumsfeier die flächendeckende Einführung des Schulfachs Ökonomische Bildung, was in Baden-Württemberg bereits beschlossen wurde.

Diese Forderungen fallen mitten in die durch eine Twitter-Nachricht einer Schülerin angestoßene Debatte, ob die Unterrichts-Inhalte an Schulen zu realitätsfern sind (Gedicht-Analyse in vier Sprachen) und zu wenig auf das wahre Leben vorbereiten (Steuern, Miete, Versicherungen).

Manipulation der Lobbyisten muss verhindert werden

Natürlich ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler ökonomische Kenntnisse erlangen. Doch im Wirtschaftsunterricht an allgemeinbildenden Schulen – sei es in einem eigenen Fach oder in Fächern wie Sozialwissenschaften oder Gesellschaftslehre – können Unternehmertum oder der individuelle Umgang mit Geld nicht die bestimmenden Themen sein. Vielmehr werden insbesondere auch volkswirtschaftliche Konzepte behandelt und wirtschafts- und sozialpolitische Streitfragen erörtert. Doch spätestens hier sind die Versuche der Einflussnahme von Wirtschaftslobbys auf die Unterrichtsinhalte an staatlichen Schulen sehr kritisch zu sehen.

Der Fachdidaktiker Tim Engartner bringt das Problem auf den Punkt: „Unzählige Eltern, Lehrer, Schüler, Kulturministeriale und Wissenschaftler fürchten, dass ein eigenständiges Unterrichtsfach Wirtschaft zum Fach der Wirtschaft werden könnte… Weil in Zeiten klammer kommunaler Kassen die Schulbuchetats sinken und die Kopierkontingente gedeckelt werden, gelingt es den unternehmerischen Initiativen immer besser, die Schulen mit selektiven, tendenziösen und manipulativen Unterrichtsmaterialien zu speisen.“

Arbeitgebernahe Ausrichtung ist problematisch

Seit 2012 wird unter der Schirmherrschaft des Bundeswirtschaftsministers von der „Bundesarbeitsgemeinschaft Schule Wirtschaft“ das „Gütesiegel Schulbuch des Jahres – Ökonomische Bildung“ verliehen. Partner der Initiative sind neben dem Wirtschafts-, dem Innenministerium und der Bundesagentur für Arbeit auch die Bertelsmann Stiftung, McDonald’s, die Stiftung der Deutschen Wirtschaft und Siemens. Die Geschäftsführung liegt bei der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeber (BDA) und dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Die Unternehmensperspektive ist wichtig für die ökonomische Bildung. Aber die einseitig arbeitgebernahe Ausrichtung der „Bundesarbeitsgemeinschaft“ ist problematisch. Seit Jahrzehnten gelten das Kontroversitätsgebot und das Überwältigungsverbot im Rahmen des Beutelsbacher Konsens als zentrale Errungenschaften der politischen und ökonomischen Bildung. Wie aber soll Kontroversität gewährleistet werden, wenn die Unterrichtsinhalte über Wirtschaftsthemen einschließlich wirtschafts- und sozialpolitischer Fragen zunehmend einseitig von den Wirtschaftsverbänden beeinflusst werden?

PR-Texte sind kein seriöses Lehrmaterial

Es lässt sich zeigen, dass etwa das „Schulbuch des Jahres“ 2012/13 („Praxis Wirtschaft Profil“) höchst kontroverse Themen teilweise grob einseitig darstellt – beispielsweise die Ursachen von Arbeitslosigkeit. Das Autorenteam von „Praxis Wirtschaft Profil“ ist zugleich in Teilen zuständig für Unterrichtsreihen des Projekts „Handelsblatt macht Schule“, welches seit langem schwer in der Kritik steht. Die Unterrichtsreihe „Finanzielle Allgemeinbildung“ wurde von der Verbraucherzentrale in ihrem methodisch-didaktischen Inhalt als mangelhaft bewertet und von LobbyControl für den Negativpreis Lobbykratie-Medaille nominiert, „weil sie PR-Texte als seriöses Lehrmaterial vermarktet“. In der Unterrichtsreihe „Unsere Wirtschaftsordnung“ wird ein dramatisierendes Bild von den angeblich zu hohen staatlichen (Sozial-)Ausgaben und der Staatsverschuldung gezeichnet. Die zur „Beweisführung“ eingesetzten Statistiken sind in weiten Teilen fehlerhaft und inhaltlich verzerrend.

Ähnlich problematisch sind verschiedene Unterrichtsmaterialien des Projekts „Wirtschaft und Schule“, welches von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ins Leben gerufen wurde und vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) herausgegeben wird. In der Unterrichtsreihe „Notwendigkeit der Altersvorsorge“ etwa wird die private Altersvorsorge unkritisch als einzig mögliche Antwort auf den demografischen Wandel dargestellt. Eine ausgewogene Auseinandersetzung mit wirtschaftswissenschaftlichen und rentenpolitischen Kontroversen findet nicht statt.  

Politik muss Wirtschaftslobby streng kontrollieren

Die Materialien von „Handelsblatt macht Schule“ und „Wirtschaft und Schule“ werden auch auf den Internetseiten der „Bundesarbeitsgemeinschaft Schule Wirtschaft“ beworben. Für Fragen rund um das unter Sigmar Gabriels Schirmherrschaft verliehene Schulbuch-Siegel wird dort direkt an das Institut der deutschen Wirtschaft verwiesen.

Zwar ziehen mittlerweile gewerkschaftsnahe Initiativen mit Materialien zur sozioökonomischen Bildung nach, diese werden aber nicht in gleicher Weise von Bundesministerien geadelt. Die bisherigen Hüter des Kontroversitätsgebots – Landes- und Bundeszentralen für politische Bildung und die etablierten Schulbuchverlage – haben jedenfalls Konkurrenz bekommen, und so tobt im Dschungel des Internets längst ein Kampf um die Köpfe der Kinder.

In der ökonomischen Bildung sind dringend eine bessere Qualitätskontrolle sowie mehr Transparenz und Kontroversität gefragt. Die Politik sollte sich nicht zum Anwalt einseitiger Arbeitgeberinteressen machen lassen.

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Autor*in
ist seit 2013 Professor für Sozialökonomie an der Universität Duisburg-Essen und Vorstandsmitglied der Forschungssstelle für wissenschaftsbasierte gesellschaftliche Weiterentwicklung (FWGW).
Till van Treeck

ist seit 2013 Professor für Sozialökonomie an der Universität Duisburg-Essen und Vorstandsmitglied der Forschungsstelle für wissenschaftsbasierte gesellschaftliche Weiterentwicklung (FWGW).

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