Inland

Wir, die Mitte Europas

von Linda Diercks · 27. Oktober 2008
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Erwartungsvolle Gesichter, festliches Ambiente, vergebliche Sitzplatzsuche, mit Mänteln reservierte Stühle, etliche Kamerateams, aufgeregte Familienangehörige und hektische Platzanweiser - so die Stimmung an diesem Abend. Umso auflockernder war schließlich der Auftritt der beiden Altpolitiker. Mit angenehmer Gelassenheit diskutierten sie über ihr neuestes Projekt.

"Während meiner Kindheit", erzählte Schmidt, "da wohnte ich mit meinen Eltern in einem Reihenhaus. Wir hatten rechts und links Nachbarn. Mit denen gerieten wir öfters mal aneinander und das waren nur zwei. Deutschland hat ganze neun Nachbarländer! Wir müssen uns doch bemühen mit denen bestmöglich auszukommen. Und das geht nur, wenn wir etwas über sie wissen und uns mit ihnen und ihrer Geschichte beschäftigen. Viele wissen gar nicht, dass es auf der ganzen Welt nur drei Länder gibt, die mehr Nachbarstaaten haben als Deutschland."

Kollektiv-Gedächtnis

Helmut Schmidt hatte 1990 bereits ein Buch mit gleichnamigem Titel herausgebracht. So lag es nicht fern, dass auch die neue Buchreihe auf seine Initiative zurückgeht. "Ich glaube, wir Deutschen haben noch nicht richtig verstanden, wie wichtig unsere Nachbarn für uns sind", so Helmut Schmidt bei der Buchpräsentation in Berlin. "Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen sind ganze Säcke voll unangenehmer Erinnerungen an unsere Nachbarn, wie zum Beispiel Polen, Russland oder auch England. Diese müssen wir ablegen!"

"Mit all diesen neun Nachbarländern leben wir momentan zum ersten Mal so, dass keiner vor uns Angst hat und wir keinen fürchten müssen. Dieses Privileg müssen wir ausnutzen, um auch weiterhin das Verhältnis zu verbessern.", forderte auch Richard von Weizsäcker. Helmut Schmidt hielt es zudem für "die schwierigste Aufgabe der deutschen Außenpolitik der nächsten Jahre" ein gutes Verhältnis sowohl zu den Polen als auch zu den Russen zu wahren.

Nachbarschaftshilfe

Auf die Frage nach einem aktuellen Beispiel für die Notwendigkeit guter Nachbarschaft antwortete Weizsäcker: "Wenn wir einmal den Kapitalverkehr betrachten - ohne Verkehrsregeln und Sicherheitsstandards, der zu einer Finanzkrise geführt hat, dann hilft es uns doch auch in diesen Fragen weiter, wenn wir uns bestmöglich mit unseren Nachbarstaaten verstehen." Die Bildung von Nationen beiden Altpolitikern zufolge charakteristisch für Europa.

Am 15. Oktober erschienen die Bände "Niederlande", "Schweiz", "Russland" und "Polen". Bis zum Herbst 2009 soll die zwölfteilige Reihe komplett sein. Als Autoren haben die beiden Herausgeber ausgewiesene Kenner gewonnen. Diese stammen größtenteils aus dem jeweiligen Land, über das sie schreiben. Ihr Wissen haben sie über Jahrzehnte erworben. Die Bücher verfolgen eine gemeinsame Linie: Sie widerspiegeln Vielfalt, Reichtum und Gemeinsamkeiten europäischer Länder. Jedoch hat infolge der persönlichen Blickwinkel der verschiedenen Autoren auch jeder Band sein eigenes Gesicht.


Geert Mak: Niederlande, Verlag H.C. Beck, München 2008. 252 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-406-57852-6

Thomas Urban: Polen, Verlag H.C. Beck, München 2008. 180 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-406-57855-7

Gerd Ruge: Russland, Verlag H.C. Beck, München 2008. 208 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-406-57850-2

Iso Camartin: Schweiz, Verlag H.C. Beck, München 2008. 196 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-406-57856-4

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